Essen. Nach einem Klinik-Aufenthalt kam die Essenerin Ilse Volbracht in ein Seniorenheim. Es sollte eine Kurzzeitpflege sein, doch erst nach vier Monaten konnte sich die rüstige Seniorin die Rückkehr nach Hause erkämpfen. Lange Zeit sollte ihr dort nicht mehr bleiben: Sie ist nun mit 91 Jahren gestorben.

Jahrzehntelang hat Ilse Volbracht an der Cranachstraße in Essen-Holsterhausen gelebt – in ihrem letzten Lebensjahr aber sollte die inzwischen 90-Jährige dreimal umziehen. Die Geschichte der alten Dame, die sich im Seniorenzentrum gefangen fühlte, hat viele Essener berührt.

Nach einem Krankenhausaufenthalt war die zuvor rüstige Seniorin im Frühjahr 2013 in das vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) betriebene Haus an der Henri-Dunant-Straße in Rüttenscheid verlegt worden – für eine sogenannte Kurzzeitpflege. Doch während Ilse Volbracht auf eine Mobilisierung und die baldige Rückkehr in ihre Wohnung hoffte, vergingen die Tage im Seniorenzentrum zwischen Bett und Rollstuhl. Statt wieder zu Kräften zu kommen, baute sie ab. „Wir sind keine Reha-Einrichtung, wir sind weder vom Personal noch von den Möglichkeiten so ausgestattet“, sollte DRK-Geschäftsführer Alfred Scherer später dazu sagen.

Zahnarzt setzte sich für Rückkehr ein

Zum Zuhause wurde das Seniorenzentrum für die verwitwete, kinderlose 90-Jährige aber auch nicht: Sie war in einem sehr schlicht eingerichteten Doppelzimmer untergebracht, in dem kein einziges privates Möbelstück stand und nicht einmal ein Telefon Kontakt zur Außenwelt ermöglichte. „Ich fühle mich hier wie im Käfig“, klagte sie. Doch auf Anraten einer Bekannten, der sie einmal eine Vollmacht erteilt hatte, stimmte sie schriftlich der dauerhaften Unterbringung zu. Als ihr dämmerte, was sie unterschrieben hatte, widerrief sie die Vollmacht.

Erst ihr langjähriger Zahnarzt, Christoph Imcke, erkannte bei einem Hausbesuch die Nöte der alten Dame und setzte sich für ihre Rückkehr nach Hause ein – mit großem Einsatz und mit Hilfe der WAZ. Nach rund vier Monaten kehrte Ilse Volbracht im Juli 2013 an die Cranachstraße zurück. Sie hatte nun eine gesetzliche Betreuerin, die eine häusliche Pflege für sie organisierte.

Anderes Heim bot mehr Lebensqualität

Bei aller Freude über ihre Rückkehr fiel es Ilse Volbracht zunächst schwer, in ihrem neuen alten Leben Fuß zu fassen. Geschwächt durch die lange Zeit im Rollstuhl wurde ihr der Weg vom dritten Stock auf die Straße schwer, in der Wohnung benötigte sie einen Rollator. „Es ist jetzt alles so anstrengend“, sagt sie bei einem Telefonat im September. Im Herbst kam sie erneut ins Krankenhaus, Verdacht auf Schlaganfall.

Ilse Vollbracht wurde gegen ihren Willen ins Altenheim gebracht.
Ilse Vollbracht wurde gegen ihren Willen ins Altenheim gebracht. © WAZ FotoPool | WAZ FotoPool

Wie Imcke erzählt, entschied sie sich danach selbst zum Probewohnen in einem anderen Heim. „Da hatte sie ein hübsches Apartment mit Fernseher und Sitzecke, in dem sie sich wohlfühlte.“ Ende Oktober konnte sie dort ihren 91. Geburtstag feiern, wohlauf und guten Mutes. „Ich weiß nicht, warum sie dann so plötzlich starb.“ Vielleicht müsse man sich diese Frage bei einer 91-Jährigen auch nicht stellen.

35 Jahre lang den Ehemann gepflegt

Vielmehr ging es nun darum, ihre letzten Wünsche zu erfüllen: Ein Grab hatte Ilse Volbracht schon zu Lebzeiten gekauft, ihre Ersparnisse vermachte sie einer Gesellschaft, die sich um Betroffene von Myasthenia gravis kümmert und für die Erforschung des neurologischen Leidens einsetzt, das mit einer fortschreitenden Muskelschwäche einhergeht.

Zu Ilse Volbrachts Beerdigung, an der einige Bekannte teilnahmen, kam auch die Vertreterin der Stiftung. „Die war ganz gerührt, dass Frau Volbracht sie bedacht hatte“, sagt Imcke. Schließlich ist Myasthenia gravis eine kaum bekannte Erkrankung. Bei unserem Besuch im Frühjahr hatte Ilse Volbracht erzählt, dass ihr 2003 verstorbener Mann daran gelitten hatte: „35 Jahre lang habe ich ihn gepflegt – der wäre nie in ein Heim gegangen.“