Essen. Der Essener Kinderarzt Werner Strahl behandelt mit seinem Verein Cap Anamur im einzigen Kinderkrankenhaus von Sierra Leone todkranke Kinder. Doch das Krankenhaus ist von der Schließung bedroht, weil dort zurzeit die Ebola grassiert.

Leicht fällt es Werner Strahl, 70, nicht: Zurzeit schläft er nachts nicht an der Seite seiner Frau, sondern übernachtet auf dem Sofa. Wenn seine Enkel zu Besuch kommen, sind Umarmungen tabu. Keine Berührung, nichts. Grund: Der Kinderarzt ist gerade von einem Hilfseinsatz in Sierra Leone zurückgekehrt, wo wie in einigen westafrikanischen Staaten zurzeit der Ebola-Virus grassiert.

Mit seinen Mitstreitern vom Verein Cap Anamur betreut er in der Hauptstadt Freetown das einzige Kinderkrankenhaus des Landes, das durch die Ebola akut von der Schließung bedroht ist. Mit der NRZ sprach Strahl über die Situation vor Ort, die Ohnmacht der Helfer und eigene Ängste.

Sie sind am Donnerstag aus einer Region zurückgekehrt, in der täglich neue Fälle von Ebola vermeldet werden. Hatten Sie keine Angst, sich anzustecken?

Werner Strahl: Doch, die hatte ich schon. Ich bin selbst Vater von zwei Kindern und Großvater von fünf Enkeln, da macht man sich schon seine Gedanken. Ich habe mich in Freetown sehr vernünftig verhalten aber natürlich gibt es immer ein Restrisiko, dass ich den Virus in mir trage. Die Inkubationszeit beträgt bis zu 21 Tage. Seit der letzten Behandlung eines Patienten vermeide ich jede Berührung mit anderen Menschen. Das ist nicht einfach, aber es macht mir bewusst, wie die Menschen in Freetown sich fühlen müssen, die oft mit acht Personen auf engstem Raum miteinander leben und Kinder zu versorgen haben. Es ist ein Elend unvorstellbaren Ausmaßes.

Wie helfen Sie konkret vor Ort?

Strahl: Wir kümmern uns zunächst um die medizinische Versorgung im Kinderkrankenhaus, wo jeder Patient eine eingehende Untersuchung auf mögliche Vorerkrankungen durchläuft. Die Kinder werden bei uns kostenlos mit Medikamenten versorgt. So wird etwa abgeklärt, ob der Patient aus einem der gefährdeten Gebiete stammt oder in seiner Familie in letzter Zeit jemand gestorben ist. Die Sicherheitsvorkehrungen sind sehr streng und kostenintensiv – so müssen Hilfsmittel wie Schutzanzüge und Masken nach der Benutzung sofort verbrannt werden. Die Kollegen vor Ort brauchen dringend Hilfe aus Deutschland, zum Beispiel Schutzanzüge, Medikamente und Rat etwa zur Röntgenbefundung; es fehlt in vielen Bereichen am nötigsten.

Warum ist das Krankenhaus durch die Ebola von der Schließung bedroht?

Strahl: Durch die Seuche ist unklar, ob der Krankenhausbetrieb weiterhin aufrechterhalten werden kann. Viele Kinder werden mit anderen Krankheiten wie Malaria oder einer Lungenentzündung eingeliefert, die ebenfalls tödlich enden können aber eigentlich behandelbar sind. Oft ähnelt die Symptomatik der der Ebola – und das macht es für die Hilfskräfte noch einmal schwieriger.

Wie kam die Krankheit eigentlich in Umlauf?

Strahl: Übertragen wurde die Krankheit ursprünglich durch Fledermäuse, die in einigen Regionen Westafrikas als Delikatesse gelten. Die Gefahr besteht vor allem, wenn das Fleisch nicht richtig durchgegart wurde. Die ersten Symptome ähneln dann einer Grippe und beinhalten Fieber, Schüttelfrost und Kopfschmerzen. Später können auch akute Blutungen hinzukommen, die Betroffenen sterben letztendlich elendig an Nierenversagen oder den Blutungen, die sich irgendwann am ganzen Körper einstellen. An einem Impfstoff wird derzeit mit Hochdruck gearbeitet, aber leider gibt es noch keinen.

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Ist Ihnen ein Fall Ihrer letzten Reise besonders in Erinnerung geblieben?

Strahl: Ja, aber leider ein sehr trauriger. Ein Vater hatte ein dreijähriges Mädchen bei uns in der Klinik eingeliefert. In Angst um das Leben seiner Tochter hatte er uns in einigen Punkten belogen und es stellte sich heraus, dass die Kleine an Ebola erkrankt war. Leider ist sie nach wenigen Tagen gestorben. Alle sechs behandelnden Ärzte und auch die Krankenschwestern mussten danach sofort unter Quarantäne gestellt werden.

Wie hoch ist die Gefahr, dass der Ebola-Virus etwa durch die Zuwanderung von Flüchtlingen aus Westafrika nach Deutschland eingeschleppt wird?

Strahl: Die Gefahr ist theoretisch durchaus gegeben und man muss festhalten, dass Deutschland darauf nicht einmal ansatzweise vorbereitet wäre. In Nordrhein-Westfalen gibt es in einem Düsseldorfer Krankenhaus nur drei Betten, die für die Behandlung von Ebola-Kranken unter Quarantäne geeignet wären. Für den Transport gibt es landesweit nur einen einzigen Krankenwagen. Bei einem Rückflug nach Deutschland aus Sierra Leone gab es auch keine Zusatzkon-trollen, da sind die Sicherheitsvorkehrungen doch recht lax. Dennoch müssen wir uns gerade jetzt mit Afrika solidarisch zeigen. Für mich ist es immer wieder erschütternd, dieses wunderschöne Land mit seinen tollen, herzlichen Menschen zu sehen, die so viel Leid ertragen müssen.

Wie werden Infizierte in Sierra Leone behandelt?

Strahl: Das ist ein weiteres Problem. Im gesamten Land gibt es nur zwei Behandlungszentren, wo die Essensrationen über den Zaun geworfen werden. Schon der Krankentransport dorthin ist schwierig, da die Ambulanzfahrer auch Angst haben, sich anzustecken.

Gibt es Heilungschancen für Ebola?

Strahl: Die Genesungschancen sind sehr gering, circa 55 Prozent der Infizierten sterben daran. Ein wirkliches Medikament gibt es momentan noch nicht. Die Weltgesundheitsorganisation hat ja ein Mittel zugelassen, das zuvor noch gar nicht richtig getestet wurde, um die Gefahr überhaupt einzudämmen. Eine einzige Packung davon kostet circa 10.000 Dollar.