Essen. Aufgrund einer Gesundheitsreform müssen viele Kranke die Kosten für lebenswichtige Medikamente zunächst selbst tragen. Von den Zuzahlungen sind vor allem blutdrucksenkende Arzneimittel betroffen. Ärzte klagen derweil über Mehrarbeit und bürokratische Strukturen

Gesundheit ist nicht nur eine Frage der Lebensführung, sondern immer mehr auch eine des Geldbeutels. Diesen Eindruck könnten vor allem Blutdruck-Patienten gewinnen, wenn sie in den vergangenen Wochen ihr gewohntes Medikament in der Apotheke erstehen wollten. Seit dem 1. Juli ist die Finanzreform der Krankenkassen in Kraft – und auf den ersten Blick müssen Verbraucher für einige Präparate nun kräftig draufzahlen. Davon sind vor allem blutdrucksenkende Mittel betroffen, für die Betroffene teilweise bis zu 60 Euro zuzahlen müssen.

Zwar haben Patienten schon jetzt die Möglichkeit, auf alternative Präparate von günstigeren Herstellern, so genannte Generika, zurückzugreifen, sobald der Patentschutz für das Originalmedikament abgelaufen ist. Doch werden sie an der Ladentheke in der Apotheke oft erstmal mit dem nunmehr weitaus höheren Eigenanteil konfrontiert, weiß Rolf-Günther Westhaus, Sprecher der Essener Apotheken. „Viele Patienten reagieren verärgert, wenn sie den neuen Preis für ihr Stammpräparat erfahren. Dann schicke ich sie oft zurück zu ihrem Hausarzt, damit der eine kostengünstige Alternative aufschreibt. Das ist natürlich aufwendig.“

Generika als preiswerte Alternativen

So kämen auch auf Blutdruck-Patienten letztendlich keine horrenden Mehrkosten zu, doch sorge die Reform für Verwirrung und unnötige Bürokratie für Arzt und Patient. Und: „Wenn ein Patient einmal auf ein konkretes Medikament eingestellt wurde, dann aber zum Ersatzpräparat greifen soll, kann es zu Unverträglichkeiten kommen“, mahnt Westhaus. Zwar enthalte ein Generikum den gleichen Wirkstoff wie das Originalpräparat, doch könnten die Begleitstoffe in der Zusammensetzung variieren.

„Auf ein und dasselbe Medikament können zwei Menschen ganz unterschiedlich reagieren“, erläutert Westhaus, sieht aber im Hinblick auf die Reform vor allem das Problem mangelnder Aufklärung der Patienten. „Viele Kunden empfinden die Preispolitik der Krankenkassen als sehr undurchsichtig. Das schürt Unmut“, so der Apotheker.

Essener Ärzte kritisieren Reform

Die Zahl der Arzneimittel, deren Kosten vollständig von den Krankenkassen übernommen werden, ist mit der Reform derweil auf ein Rekordtief gesunken. Der Spitzenverband der Krankenkassen (GKV) hat die Festbeträge für 13 Wirkstoffgruppen gesenkt. Weniger als zehn Prozent der Medikamente mit Festpreis sind für Patienten vollkommen kostenfrei. Da die Pharma-Unternehmen trotz der Senkung der Festbeträge den Gesamtpreis für ihre Produkte nicht reduziert haben, müssen Patienten den nunmehr höheren Differenzbetrag aus eigener Tasche zahlen, oder sich um eine preiswerte Alternative bemühen. Diese kann allerdings nur der Hausarzt verschreiben.

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Auch bei Essener Ärzten sorgt die Reform für Kritik. Ludger Wollring, Vorsitzender der Ärztekammer Nordrhein Kreisstelle Essen (AEKNO), sieht darin etwa das politische Bestreben, das Gesundheitssystem wirtschaftlicher und wettbewerbsorientierter zu gestalten, doch sei die Reform zu wenig auf die alltägliche Berufspraxis der Ärzte abgestimmt: „Ich bezweifle, dass man mit diesem Hin und Her die Qualität der Therapie im Gesundheitssystem verbessern kann. Allein durch die ständig wechselnden Rabattverträge der Kassen müssen Patienten häufig das Präparat wechseln und wir Ärzte müssen sie ständig über die Neuerungen auf dem Laufenden halten“, so Wollring. „Da ist der Aufwand größer als die wirtschaftliche Ersparnis.“

Bürokratie statt Gesundheit

Bei den Rabattverträgen handelt es sich um ein Abkommen zwischen den Pharma-Unternehmen und den Krankenkassen – diese verpflichten Apotheker, beim Erhalt eines Rezepts ausschließlich Präparate eines bestimmten Herstellers an den Kunden auszugeben, was sich nach dem Rabattvertrag seiner jeweiligen Krankenkasse richtet.

Eine Entwicklung, die für Ärzte offenbar immer schwieriger zu kommunizieren ist, da sie die ständig wechselnden Rabattverträge oft selbst nicht kennen, betont Allgemeinmediziner Ralph-Detlef Köhn, der auch zweiter Vorsitzender des AEKNO ist: „Leider sind wir als Ärzte immer häufiger gezwungen, uns um Bürokratie statt um die Gesundheit unserer Patienten zu kümmern. Das System ist sehr unübersichtlich geworden.“