Essen. . Immer wieder behindern Schaulustige die Arbeit von Sanitätern und Feuerwehrleuten. Versuchen die Rettungskräfte, sich einen Weg durch die Gaffer zu bahnen, werden sie beleidigt, angepöbelt oder sogar tätlich angegriffen. Verurteilt und bestraft werden die Schaulustigen jedoch so gut wie nie.

Ein Unfall auf der Autobahn, ein Auto brennt. Rettungskräfte versuchen, schnell zu dem Unfallauto zu gelangen. Menschenleben könnten in Gefahr sein. Doch sie kommen nicht durch. Gaffer stehen ihnen im Weg, machen Fotos mit ihren Handys. Statt die Rettungskräfte passieren zu lassen, pöbeln die Gaffer sie an.

Was sich an einem Sommerabend auf der A40 in Essen zugetragen hat, ist nach Angaben von Rettungskräften kein Einzelfall. Immer wieder stellen sich Schaulustige ihnen in den Weg. "Das ist ein Skandal", empört sich Stephan Hegger, Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in NRW, "da geilen sich Leute an Toten und Verletzten auf."

Gesetz sieht bis zu 5000 Euro Geldstrafe für Gaffer vor

Die Gaffer handeln nicht nur moralisch verwerflich, weil sie Menschenleben in Gefahr bringen, sondern ganz klar auch gesetzeswidrig: Wer Rettungskräfte aktiv behindert, macht sich der Nötigung schuldig. Eine Straftat, die mit bis zu drei Jahren Gefängnis oder einer häufig vierstelligen Geldstrafe geahndet werden kann.

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Das Problem: Um die Schaulustigen tatsächlich zu belangen, müsste jemand ihr Tun gerichtsfest dokumentieren. Dafür haben Rettungskräfte am Einsatzort aber eigentlich nie Zeit. „Stellen Sie sich mal vor, der Sanitäter lässt den Verletzten liegen und nimmt erstmal die Personalien eines Gaffers auf“, beschreibt Hegger die Problematik.

Zudem ist unklar, ob härtere Strafen Schaulustige tatsächlich abhalten können. "Gegen die Magie des Blaulichts hilft nichts", sagt Ingo Schunke, Kreisgeschäftsführer des DRK Duisburg und seit 30 Jahren im Rettungsdienst aktiv. Die meisten Schaulustigen, so seine Erfahrung, handeln nicht in böser Absicht, sondern aus reiner Neugierde. "Lästig ist das aber trotzdem."

Schaulustige attackieren Rettungskräfte immer häufiger

Erst kürzlich hatte das Verhalten von Gaffern bei einem Busunfall in Duisburg eine Welle der Empörung ausgelöst. Während eine junge Frau 19 unter Schock stehende Kinder aus dem zerstörten Bus rettete, standen andere Passanten herum und schossen Fotos mit ihren Smartphones.

Besonders schwierig wird es für Rettungskräfte, wenn Schaulustige nicht nur im Weg stehen, sondern sogar aggressiv werden. Nachdem in der Silvesternacht Feuerwehrleute mit Raketen beschossen worden waren, drohte Essens Ordnungsdezernent Christian Kromberg damit, die Feuerwehrleute abrücken zu lassen: "Dann brennt die Bude eben ab".

Feuerwehr beobachtet zunehmende Gewalt

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Was dem Geist des Helfens zuwiderliefe, ist juristisch allemal gedeckt: "Unsere Dienstvorschriften besagen ganz klar, dass sich die Rettungskräfte bei einer Gefährdung der eigenen Sicherheit nicht nur zurückziehen können, sondern müssen", sagt Christoph Schöneborn Geschäftsführer des Landesfeuerwehrverbands.

Er beobachtet, dass die Zahl der Attacken zunimmt. „Das fängt mit Beleidigung und Spuckattacken an und endet mit Vorkommnissen wie in der Silvesternacht in Essen.“ Meist werde dann die Polizei zuhilfe gezogen, um die Retter zu schützen.

Gaffer fotografieren aus dem fahrenden Auto heraus

Manchmal bringen sich Schaulustige durch ihr Verhalten gar selbst in Gefahr. "Die Leute versuchen, aus dem fahrenden Auto heraus Fotos zu machen", berichtet ein Sanitäter. Das führt auf der Gegenfahrbahn nicht selten zu weiteren Staus oder gar Unfällen.

Bei Großeinsätzen arbeiten die Rettungskräfte deshalb mit großen Tüchern, die die Sicht auf die Unfallstelle nehmen. Straßen.NRW hat vor einigen Jahren testweise einen mobilen Zaun angeschafft: bis zu 100 Meter breit, zwei Meter hoch, 40.000 Euro teuer und windfest bis Stärke fünf.

Zaun wird nur bei Großeinsätzen eingesetzt

Der liegt bei der Autobahnmeisterei Kaarst auf einem Anhänger bereit und wird auf Anforderung der Polizei zur Unfallstelle gefahren und aufgebaut. Das kostet natürlich Zeit. 15 bis 30 Minuten dauert allein der Aufbau. "Für den A40-Unfall wäre das nichts gewesen", gibt Straßen.NRW-Sprecher Bernd Löchter zu. Achtmal sei der Test-Zaun im ersten Jahr eingesetzt worden.

Dennoch ist Straßen.NRW mit dem Sichtschutz-Zaun so zufrieden, dass gerade elf weitere angeschafft werden. „Die Erfahrung zeigt: Wenn der Zaun steht, normalisiert sich der Verkehr auf der Gegenseite innerhalb von zehn Minuten“, erklärt Löchter.

„Auch Sie könnten in dem Unfallauto sitzen“

Wo weder Zaun noch Tücher Schaulustige abhalten können, liegt es an Schaulustigen selbst, ihre Neugier zu bezwingen und die Rettungskräfte ihre Arbeit machen zu lassen. GdP-Sprecher Heggert gibt ihnen einen Ratschlag: „Führen Sie sich doch einmal vor Augen, dass auch Sie in dem Unfallauto sitzen könnten.“

Auto auf A40 ausgebrannt

Foto: Oliver Müller
Foto: Oliver Müller © WAZ FotoPool
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