Mülheim. Theaterchef Helmut Schäfer moderiert am Donnerstag, 8. Dezember, eine Diskussion des Frankfurter Erziehungswissenschaftlers Frank-Olaf Radtke mit OB Dagmar Mühlenfeld.

Der UN-Sonderbotschafter für das Recht auf Bildung, Vernor Munoz, war im Frühjahr Gast bei einer Diskussionsrunde im Theater an der Ruhr und gab in der damaligen Etatdiskussion, als drastische Einschnitte bei der Kultur drohten, den Fördervereinen die Steilvorlage für ihre Argumentation. „Ganzheitliche Bildung setzt sich aus kognitiver und kultureller Bildung zusammen.“ Munoz stellte damals fest: Je weniger ein Kind über finanzielle, soziale und kulturelle Ressourcen verfügt, desto schlechter sind seine Bildungschancen.


Diesen Faden nimmt am Donnerstag, 8. Dezember, um 19.30 Uhr am gleichen Ort (Eintritt frei) der emeritierte Frankfurter Erziehungswissenschaftler Frank-Olaf Radtke auf, der sich vor allem mit Integrationsfragen befasst hat. Das bekommt im Hinblick auf die politischen Entscheidungen für Eppinghofen und das laufende Bürgerbegehren Relevanz. Er wird einen etwa 20-minütigen Vortrag halten und unter Moderation von Theaterchef Helmut Schäfer zunächst mit Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld reden. Dann wird sich die Diskussion auf alle Besucher ausgedehnt.

Krasse Widersprüche

Noch immer gilt der Satz, dass Herkunft und Bildungserfolg in keinem anderen Industrieland so eng mit einander verkoppelt sind wie in Deutschland. Ein sozialer Aufstieg wird nur im Ausnahmefall möglich. Dies spiegelt sich auch in den Untersuchungen des Sozialdezernats wider. So trennt den wohlhabenden Stadtteil Speldorf und den armen Stadtteil Styrum nicht allein der Fluss.

Im Vorfeld des Diskussionsabends kritisiert Schäfer die Ausrichtung von Bildung auf die Wirtschaft. Ausdruck finde dies zum einen im Turbo-Abitur, bei dem der Stoff von zwölf Monaten auf die früheren Jahre verteilt werden soll. Was aber nicht gelingen könne. Aber es geschehe auch an den Hochschulen durch den Bologna-Prozess, der zu den strafferen Bachelor- und Master-Studiengängen geführt habe. Wer schlechtere Startchancen habe oder parallel noch für seinen Lebensunterhalt aufkommen müsse, komme da kaum mit.

Da durch den demographischen Wandel der Anteil der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte zunehme, ergebe sich auch bei den Schulen immer stärker die Systemfrage. In dem dreigliedrigen Schulsystem sieht Schäfer nur ein Spiegelbild des Sozialsystems. Was aber passiert, wenn man es Frage stellt, zeige das Beispiel Hamburg, wo die Privilegierten im vergangenen Jahr um ihre Vorteile bangten, Schwarz-Grün einen herben Rückschlag hinnehmen musste und Bürgermeister Ole von Beust seinen Rücktritt einreichte.

Newtons Phantasie

Schäfer fordert, dass auch mehr darüber diskutiert werde, was Bildung sei und ob der festgelegte Kanon noch stimme. Er bezieht sich auf Hegel, dem letzten, der es im 19. Jahrhundert versucht habe, eine Enzyklopädie, eine Zusammenfassung des Wissens, zu verfassen. Für ihn war das Ziel von Bildung, so Schäfer, die Fähigkeit, durch die Augen eines anderen auf die Welt zu schauen. Ein Ziel, das einen großen demokratischen Impuls habe.

Die Forderung nach ästhetischer Bildung bedeute nicht, dass alle Künstler werden sollen. Das gelte auch für einen Entdecker von physikalischen Gesetzmäßigkeiten wie Isaac Newton. Denn seine Beobachtungen, die zum Nachweis der Schwerkraft führten, hätten vor allem Vorstellungskraft verlangt, bevor Berechnungen überhaupt möglich waren. Die damaligen Wissenschaftler hätten sich als Universalgelehrte auch nicht in den engen Grenzen einer Disziplin bewegt.