Essen. Kabbeln, klettern, kichern: Das haben die Kinder in Essen-Horst gern mit Jürgen Busch gemacht. Mit seinem Ruhestand verliert die Einrichtung eine Ausnahme: einen Mann in der Kindertagesstätte – er war einer der ersten in diesem Beruf.
Pia (3) ist am liebsten mit Jürgen geklettert. Jason (4) und Jan (6) haben gern mit ihm getobt. Und Sina hat mit den anderen Kindern laut lahme Schnecke gerufen, wenn Jürgen sie nicht fest genug auf der Schaukel angeschubst hat. „Ihr Angsthasen“, hat der geantwortet, und alle haben gelacht. Wie so oft. Nun wird der Kinderpfleger nicht mehr täglich in die Kita am Sachsenring kommen, weil er seinen letzten Arbeitstag hatte. „Ich bin gar nicht traurig“, sagt Emely, „weil Jürgen versprochen hat, dass er uns besucht.“
Jürgen Busch ist traurig, immerhin arbeitete der 65-Jährige seit fast 40 Jahren als Kinderpfleger, erst im Hort, in einer Krabbelgruppe und nun als stellvertretender Leiter der Kita in Horst, wo er 25 Kinder betreute. Ein Exot war er in dem Beruf immer: allein unter Frauen.
"Einen Traumberuf hatte ich mit 14 nach der Schule nicht."
Zu Hause wird der Rüttenscheider neue Aufgaben suchen, seine Frau arbeitet noch als Erzieherin. „Ich muss wohl kochen lernen“, scherzt Jürgen Busch, der in seiner Freizeit segelt, klettert und Fallschirm springt. „Ich bin ein Draußenmensch“, sagt er. Davon haben die Kinder in der Kita profitiert.
Mehr Männer in Kitas
In städtischen Kitas arbeiten rund 600 Erzieherinnen, die etwa 15 Kollegen haben. Das sind in der Regel zwei bis drei Prozent, sagt Stadtsprecher Stefan Schulze. Beim Kita-Zweckverband gibt es unter 778 Erzieherinnen ca. 15 Kollegen und den ausdrücklichen Wunsch nach mehr Männern.
Das Berliner Familienministerium startete 2011 ein dreijähriges Projekt: Mehr Männer in Kitas. Das sollte das Interesse von Männern am Erzieherberuf wecken, sie bei der Entscheidung unterstützen, ihn zu wählen. Mittel- und langfristig soll der Anteil der Erzieher in Kitas um 20 % wachsen.
Dort landete Jürgen Busch auf Umwegen. „Einen Traumberuf hatte ich mit 14 nach der Schule nicht.“ Er versuchte sich als Karosseriebauer („Das war zu laut“), Chemielaborant („Ich hab’s nicht begriffen“), schleppte Kisten beim Spirituosenhändler, arbeitete acht Jahre bei der Chemiefirma Goldschmidt. Als sein Bruder beruflich vom Bauschlosser zum Sozialarbeiter wechselte, steckte ihn das an. „Erzieher konnte ich mit acht Jahren Volksschule nicht werden“, sagt Jürgen Busch, der stattdessen die Ausbildung zum Kinderpfleger abschloss.
"Man sollte Kinder gern haben"
Sein Arbeitsalltag begann jeden Morgen mit lauten Jürgen-Schreien und mindestens einem Kind am Bein. „Sie haben sich gefreut und ich mich auch“, sagt er, denn die wichtigste Voraussetzung für den Beruf sei: „Man sollte Kinder gern haben.“ Sie haben mit ihm gekabbelt, sich beim Kartenspiel gegen ihn verbündet, mit ihm gekuschelt und ihm Geheimnisse anvertraut: „Die Mama hat ein Kind im Bauch.“
Eltern meldeten ihren Nachwuchs gern in seiner Gruppe an. Einige mussten erst Vertrauen fassen, wenn es ums Wickeln ging. Für den dreifachen Vater war das kein Problem. Er verschweigt aber nicht, dass die Kinder auch nerven, anspruchsvoll und laut sind. Es ist ein Job, der mit viel Verantwortung und Belastung verbunden ist. Könnte Jürgen Busch etwas ändern, wären es die Gruppen-Größe und die Bezahlung der Erzieher. „Ich bin ein Glückspilz, der eingestellt wurde, als es finanziell aufwärts ging“, sagt er, weiß aber, dass Männer den Beruf auch scheuen, weil sie mit ihrer Familie nicht davon leben können.
Vom Erzieher zum Seeräuber
Mit ihm verliert Kita-Leiterin Susanne Breyer den einzigen Kollegen: „Männer lassen manchmal mehr zu, reagieren anders bei Konflikten und finden eine andere Ansprache.“ Vor allem kleine Mädchen hätten ihn oft als Bezugsperson ausgesucht. „Für viele Kinder ist es wichtig, ein anderes Männerbild kennenzulernen“, so Busch. In der Kita sahen sie, „dass ich nicht mehr zu sagen habe als die Kolleginnen“. Mit ihnen verliere er 20 soziale Kontakte – und die Kinder. So erging es bereits einem Kollegen vor 14 Jahren, der bis heute das Aquarium am Sachsenring pflegt und den Nikolaus in allen Gruppen spielt.
Jürgen Busch will Seeräuber werden und so eine Tradition erhalten. Jedes Jahr hat er mit den angehenden Schulkindern auf der Weißen Flotte spielerisch Piraten-Angriffe abgewehrt. Nun will er das Spiel als freiberuflicher Pirat fortsetzen, um die Kinder weiter zu treffen: „Sie gehören zu mir, und ich hab’ sie gern.“