Essen. . Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck wendet sich mit einem Brief direkt an alle 845.000 Gläubigen, teilt ihre Verärgerung über die Affäre in Limburg und bedankt sich für ihre Treue. Einige Katholikinnen monieren, dass sich der Brief stets an den - meist männlichen - Haushaltsvorstand richte.

So mancher Katholik mag den Brief mit einer Mischung aus Erstaunen, und Freude in Händen gehalten haben. Der hochwürdige Absender: Franz-Josef Overbeck, Bischof des Ruhrbistums Essen. Dass sich ein Oberhirte nicht von der Kanzel, sondern direkt an seine 845.000 Gläubigen wendet und Stellung bezieht zur aktuellen Lage, ist eine große Seltenheit in der 55-jährigen Bistumsgeschichte.

Der Bischof nahm die Premiere des neuen Kirchenmagazins „Bene“ zum Anlass, besonders jene Schafe anzusprechen, die die Kirche fast schon verloren hat. Menschen, die nur noch auf dem Papier katholisch sind und sich zum letzten Mal vor Jahren in eine Messe verirrt haben.

Distanz der Gläubigen zur Kirche nimmt zu

Overbeck findet einen warmen, verständnisvollen Ton und breitet seine Arme aus. Die „Vorgänge im Bistum Limburg“, urteilt er, sorgten zu Recht für Kritik. „Ich verstehe gut, dass vieles in diesem Zusammenhang nachdenklich, einiges sogar ärgerlich macht - und dass die Distanz mancher Gläubiger zu ihrer Kirche weiter zunimmt.“ Eine sympathische Stelle im Brief: Denjenigen, die „nach wie vor gemeinsam mit uns auf dem Weg sind“, dankt Overbeck „von ganzem Herzen“.

Seit Papst Franziskus im Begriff ist, eine stürmische Kirchen-Perestroika von oben zu entfachen, stellt sich so mancher deutscher Bischof ängstlich auf unruhige Zeiten ein. Nicht so Franz-Josef Overbeck. Er verbinde mit der Wahl Bergoglios „Hoffnung“. Und erinnert an die „Aufbruchstimmung“, die der „umfangreiche Dialogprozess“ im eigenen Bistum ausgelöst habe.

Wohlwollendes Echo

Bei den weitaus meisten Gläubigen, so meldet die Bischöfliche Pressestelle erleichtert, habe der Brief ein wohlwollendes Echo gefunden. Irritation löste er nur vereinzelt aus. So monieren Katholikinnen, dass sich der Brief stets an den - meist männlichen - Haushaltsvorstand richte. Kaum war der Brief verschickt, blinkte bei einem Pfarrer die Beschwerde-SMS einer Bekannten auf, die bei der Kirche als Erzieherin arbeitet. Tenor: „Warum bekommt mein Mann einen Brief und ich nicht?“. Konsequenz: Demnächst wählt das Bistum in Briefen eine neutrale Anrede.

Im kirchenkritischen Lager, wo der vom neuen Papst eingeleitete Wandel voller Ungeduld herbeigesehnt wird, fällt die Reaktion auf die Post vom Oberhirten eher kühl aus. „Ein netter und freundlicher Brief, der aber nichts bewegt“, findet die Reformtheologin Magdalena Bussmann, der Mitte der achtziger Jahre die Lehrerlaubnis entzogen wurde. Sie vermisst selbstkritische Töne in dem Brief und besonders die Abkehr von einer Kirche, die sich ständig mit sich selbst beschäftige.

Inspiriert und ermutigt fühlt sie sich durch das neue vatikanische Manifest „Evangelii Gaudium“ („Freude des Evangeliums“) und dessen „frohe und befreienden Botschaft“. Eine Botschaft, die voller Sprengstoff sei. Denn wie Franziskus sieht Magdalena Bussmann die Kirche an der Seite derjenigen, die am Rand der Gesellschaft stehen - bei den Armen und Ausgebeuteten. „Aber die Kirche hierzulande hat sich komfortabel im Kapitalismus eingerichtet und scheint nicht bereit zu sein, die staatlichen Privilegien in Frage zu stellen.“