Essen. . Vor zehn Jahren gründete Kay Shanghai den nach ihm benannten Club in den Räumen des ehemaligen „Kalei“ – und schuf nicht nur fürs Ruhrgebiet eine musikalische und kulturelle Experimentierfläche. Warum man als Clubbesitzer nicht erwachsen wird und ihm zu Berlin nichts einfällt, verrät der 35-Jährige im Interview.

Er trägt einen mit Elfen übersäten Vintage-Pulli. Nimmt einen hektischen Zug an seiner Zigarette. Schwärmt von Spaß-Rangeleien zwischen NDW-Held Andreas Dorau und DJ Koze in seinem Club.

Stürzt sich atemlos in die nächste Erinnerung. Die Hip-Hop-Truppe Deichkind, gehüllt in blaue Müllsäcke, erobert das „Hotel Shanghai“ im Sturm, lange bevor sie die großen Bühnen entert: Kay Shanghai (35), der bürgerlich Kay Löber heißt, in Mülheim wohnt und mit seinem Club an der Steeler Straße im November und Dezember zehnten Geburtstag feiert, gehört zu den ungewöhnlichsten Protagonisten des Essener Nachtlebens. Größen wie Totally Enormous Extinct Dinosaurs haben dort gespielt, DJ-Größe Phil Fuldner eine monatliche Partyreihe etabliert, Peaches hier Elektro und Punk vermischt. Für diese Grenzüberschreitungen steht das Shanghai. Zeit also für ein etwas anderes Interview mit dem Shanghai-Vater: Zehn Jahre, zehn Schlagwörter.

Berlin ist was für Anfänger

1. Musik. Mir macht es Spaß, Musiker und Bands zu buchen, bei denen Menschen anfangs mit dem Kopf schütteln, später aber das Potenzial erkennen. Grundsätzlich bewundere ich es, wenn Menschen ihre Instrumente beherrschen. Meine momentane Lieblingsband ist deswegen auch „The Aikiu“ aus Frankreich, eine großartige Mischung aus Pop, Elektro und Avantgarde. Umso mehr freue ich mich, dass sie am 14. Dezember im Shanghai spielen. Zum Zehnjährigen werden wir im Dezember oder Januar mit dem Produzenten Eric D. Clark von Whirlpool-Productions auch erstmals eine Shanghai-Maxi auf Vinyl pressen. Darauf gibt es diverse Remixe, unter anderm von Andreas Dorau, zu hören.

Grenzgänger...
Grenzgänger... © WAZ Fotopool

2. Extravaganz. Für mich etwas, das ich nur zu gerne auslebe. Das gilt auch für das Programm im Shanghai. Musikalisch gilt dieses Prädikat für all das, was noch nicht im Mainstream angekommen ist. Und es traf auf einen unserer Barmänner zu, der wie eine Sphinx hinter der Theke stand und mit seiner Distanz zu den Gästen eine eigene Marke wurde. Genauso wie unser Nacktkellner.

3. Berlin. Berlin ist was für Anfänger. Egal, wie viele rote Teppiche da noch ausgerollt und Fashion-Shows veranstaltet werden – diese Stadt inspiriert mich einfach nicht. Nicht zu vergleichen mit der Faszination, die das Ruhrgebiet auf mich ausübt. Hier ist vieles im Wandel, gerade im kulturellen Bereich. Sorry, aber zu Berlin fällt mir irgendwie nix ein. Ich bin auch nur sehr selten dort.

Manchmal gibt es diese magischen Momente 

4. Essen. Dazu fällt mir als erstes Klaus Nomi ein, mein größtes Idol. Es ist schade, dass die Stadt diesen herausragenden Countertenor, der hier aufwuchs, in Essen auf der Bühne stand und später in New York auch dank David Bowie Karriere machte, nicht ausreichend würdigt. Ich wäre dafür, einen Platz nach ihm zu benennen. Darüber hinaus liebe ich in Essen die Zechenlandschaften, die ganz spezielle Orte für sich sind.

...Lebenskünstler...
...Lebenskünstler... © WAZ Fotopool

5. Clublandschaft. Manchmal würde ich mir in der Stadt mehr neue Ideen wünschen. Das war ja auch der Grund, warum ich mit dem Shanghai vor zehn Jahren angetreten bin. Ich wollte das Umland bereichern, weil es für mich musikalisch stagnierte. Ziel war es, eine Plattform zu schaffen, die offen für Elektro, für Indie, für Live-Bands ist. Also keine starren Grenzen kennt und offen für Neues ist. Eben das zieht schließlich auch neue und spannende Menschen an. Zwar hat sich das Nachtleben hier in den vergangenen Jahren zum Positiven entwickelt, es ist aber noch Luft für Experimente – und damit meine ich nicht die 100. Schaumparty.

6. Party. Der besuchermäßig vollste oder kommerziell erfolgreichste Abend bedeutet nicht proportional die beste Party. Manchmal gibt es eben diese magischen Momente, selbst, wenn man nur mit 60, 80 Leuten feiert. Ich bin dann mit einer Party zufrieden, wenn nach einem stressigen Tag alle Vorbereitungen getroffen sind, die Technik einwandfrei läuft, der Sound stimmt und ich in den Augen der Musiker oder DJs sehe, dass es ihnen Spaß macht. Denn dann springt der Funke meistens auch auf das Publikum über.

Enge Zusammenarbeit mit den Künstlern

7. Erinnerungen. Ein Buch würde nicht ausreichen, um all die Anekdoten zu erzählen. Ich erinnere mich gern an die Anfänge, als ich vor gut 13 Jahren noch auf dem Klo im Flamingo aufgelegt habe. Dort habe ich die beiden Dragqueens BayBjane und Cybersissy kennengelernt, mit denen ich bis heute eng zusammenarbeite. Aus den Begegnungen mit Künstlern hier sind viele Freundschaften entstanden. Mit dem Club habe ich gedacht, erwachsen zu werden. Das Gegenteil ist der Fall – ich bin jetzt infantiler als früher, fürchte ich.

8. Langeweile. Wenn man viel Aufregung in seinem Leben hat, ist Langeweile für mich nicht negativ behaftet – ich genieße sie. Ich nutze sie, um mit meinem iPod an der Ruhr zu spazieren. Oder zu lesen, aktuell „Letzte Tage, jetzt“ von meinem Kumpel Jan Drees. Ich denke, das ist das, was andere Menschen als langweilig definieren würden. Für mich ist es eine sinnvolle Nutzung meiner Freizeit, um runterzukommen und mich zu entspannen.

Mehr grenzüberschreitende Projekte

9. Kaleidoskop/Kalei. Mit einem gefälschten Perso habe ich mich mit 13, 14 Jahren einmal heimlich reingeschlichen. Punks, Rockabillys – das war damals eine komplett andere Welt für mich. Gäste sagen mir heute, dass dieses Gefühl auch im Shanghai geblieben ist.

10. Zukunft. Ich wünsche mir mehr grenzüberschreitende Projekte, etwa eine größere Verbindung von klassischer und elektronischer Musik. Ein Beispiel ist unsere Kooperation mit dem C3-Festival auf Zollverein. Nach seinem Konzert am Freitag in der Kokerei kommt der großartige Matthew Herbert, der etwa Remixe für Yoko Ono und Serge Gainsbourg produzierte, für ein DJ-Set ins Hotel Shanghai. Er eröffnet damit unsere Geburtstagsparty-Reihe, die bis Ende Dezember dauert. Kooperationen wie diese mit dem C3-Festival würde ich in Zukunft gerne intensivieren.