Essen. Meine Fakten - deine Fakten: Befürworter und Gegner des Bürgerbegehrens beharken sich mit interpretierbaren Argumenten. Zunehmend wird’s aber auch persönlich. Die SPD nannte die Messe-Gegner „Laiengruppe“, die Grünen keilten zurück.

Der Irrtum mit der „Reise und Camping“, er war Wasser auf die Mühlen derer, die für den Teilneubau der Messe Essen trommeln. Als Beleg dafür, dass die Arbeitsplatz-Effekte der Messe längst nicht so groß seien wie errechnet, führten die Betreiber des Bürgerbegehrens jüngst einige abgewanderte Messen ins Feld. Diese seien in die damaligen Zahlen mit eingeflossen und müssten folglich heute herausgerechnet werden. Auch die „Reise und Camping“ wurde in diesem Zusammenhang von Wilfried Breyvogel, einem der Macher des Bürgerbegehrens, genannt. Doch peinlich: Diese Messe erfreut sich in Essen guter Gesundheit.

Hat SPD-Fraktionschef Rainer Marschan also Recht, wenn er Breyvogel und Co. als „Laiengruppe“ verspottet, „die sich nie zuvor mit Messegesellschaften beschäftigt hat“ und der man deshalb kein Wort glaube? Die Grünen werfen der SPD in einer scharfen Replik vor, zu „persönlichen Diffamierungen“ zu greifen und mit „Frechheiten“ um sich zu werfen. Inhaltlich liege Marschan falsch, wenn er die Subventionierung der Messe in einem Atemzug nenne mit Kitas, Theater oder dem Nahverkehr.

Richtig ist jedenfalls: Auf jedes Argument der Messe-Kritiker (fett gedruckt) gibt es eines der Befürworter, das mindestens genauso plausibel klingt. Eine Auswahl:

Die Messe wird übermäßig hoch subventioniert. Das scheint nur so. Die Messe Essen muss ihre Investitionen selbst tragen, während woanders dafür Stadt- und Landesmittel bereitstehen, die anders verrechnet werden.

Die Messe verliert in Wahrheit Fläche durch den Teilneubau? Stimmt nicht, die Fläche bleibt mit ungefähr 100 000 Quadratmetern ausweislich der Architektenpläne gleich und bekommt dank der Modernisierung Anschluss an den von Ausstellern erwarteten Standard.

Teilneubau lohnt nicht, es gibt sowieso schon Überkapazitäten im nationalen Messemarkt. Die gibt es, aber gerade die Messe Essen ist aufgrund ihrer zentralen Lage in Europa und der Zahl wichtiger Leitmessen absolut lebensfähig.

Das Messe-Personal in Essen ist besonders teuer. Das Gegenteil ist der Fall. Gemessen am Umsatzerlös pro Quadratmeter Fläche sind die Personalkosten günstiger als bei den meisten Konkurrenten.

Die 3500 Arbeitsplätze, die die Messe direkt und indirekt in Essen schafft, sind weit übertrieben. Diese Zahl wurde vom Ifo-Institut ermittelt. Selbst wenn andere Messen andere Zahlen haben, so verbieten sich simples vergleichendes Herunterrechnen, denn jede Messe ist anders zu sehen.

Es ist unzutreffend, die neue Verschiebung des Baubeginns dem Bürgerbegehren anzulasten. Wenn das Bürgerbegehren Erfolg hat, sieht die Gemeindeordnung einen Stillstand der Rechtsgeschäfte für das strittige Vorhaben bis zum Bürgerentscheid vor. Dieses Risiko konnte die Messe nicht eingehen.

Kommentar: Informationspolitik weiter mangelhaft 

Zahlen sind eine präzise Angelegenheit, könnte man meinen. Doch weit gefehlt. Wie die Messe zeigt, steckt der Teufel im Detail, jederzeit mögliche (und nötige) Interpretationen verunsichern. Das Fatale an der Debatte ist, dass jeder fast alles behaupten kann und alle ein bisschen Recht zu haben scheinen - sieht man ab von echten Patzern wie der Beerdigung der „Reise und Camping“.

Dass im Messe-Streit ein so großes Durcheinander herrscht, hängt zum einen mit der komplizierten Materie zusammen. Simple Vergleiche zwischen Messe-Städten etwa, wie sie die Initiatoren des Bürgerbegehrens lieben, sind wenig erkenntnisfördernd. Die Umstände, unter denen die Messen arbeiten, sind völlig andere und daher weitgehend unvergleichbar. Andererseits: Die Messe ist am allgemeinen Gebrabbel ohne harte Fakten nicht unschuldig. Seit langem frönt sie einer Geheimniskrämerei, die an Vernebelung grenzt. Teil des Problems ist auch ein rein politisch besetzter Aufsichtsrat, der nicht den kundigsten Ruf genießt, und ein OB als Aufsichtsratschef, den niemand als großen Kommunikator bezeichnen wird.

Wäre die Messe ein Privatunternehmen, müsste die Öffentlichkeit mit wenig Informationen leben. Doch bekanntlich ist es anders. Wie alle städtischen Gesellschaften spielt die Messe gerne „Konzern Stadt“, gehört aber letztlich uns, den Bürgern. Gerade um in Essen mehr Freunde zu gewinnen, sollte man sich der Mühe unterziehen, nachvollziehbar und sorgfältig alle Themen zu klären, von denen im Text oben einige aufgeführt sind. Viele Bürger würden sich dann mit einem besseren Gefühl, den Sirenenklängen der Messe-Gegner entziehen. Echte Information, klar und einleuchtend präsentiert, wären auch allemal sinnvoller als die Tingel-Tangel-Tour, mit denen die Messe derzeit Sympathie werbend durch die Stadt zieht.

Dennoch: Das Konzept der Messe-Gegner ist keines, sie spielen mit dem Feuer, auch wenn sie treuherzig beteuern, sie wollten ja nur eine bessere, vitalere Messe. Wer die Messe will, muss modernisieren. Sicher, es gab preiswertere Umbaupläne, aber die wollten gerade diejenigen nicht, die nun am lautesten schreien, weil ihnen ein paar Bäume wichtiger waren. Wer jetzt den fahrenden Zug anhält, riskiert das Abwandern von Leitmessen und den Verlust von sieben Millionen Euro, die schon in die vom Rat beschlossenen Pläne flossen. Wer will das verantworten?