Essen. . Im Landes-Schnitt ist es nur jeder vierte. Mit seinen aktuellen Werten, die regelmäßig über 30 Prozent liegen, übertrifft Essen sogar den Durchschnitt der Ruhrgebiets-Kommunen. In einer aktuellen Erhebung haben Experten haben einige überraschende Erkenntnisse gewonnen.
Jeder dritte Vierjährige in Essen benötigt besondere Sprachförderung. Das geht aus Statistiken aus den vergangenen drei Kindergartenjahren hervor. Bei der Sprachstandserhebung „Delfin 4“, die seit dem Jahr 2007 Pflicht ist für alle Vierjährigen, wiesen im Jahr 2012 mehr als 32 Prozent der untersuchten Kinder einen Förderbedarf auf. Im Vorjahr lag der Wert sogar bei fast 35 Prozent. Im Landesschnitt ist es nur jedes vierte Kind, das bei „Delfin 4“ einen erhöhten Förderbedarf erkennen lässt.
Essen liegt mit diesen Werten der letzten Jahre leicht höher als der Durchschnittswert der Städte im Regionalverband Ruhrgebiet (RVR). „Diese Trends verwundern und geben Anlass zur Sorge, wenn Essen entgegen der sonstigen sozialräumlichen Verhältnisse dauerhaft unter den Ruhrgebietsschnitt absackt“, befindet der Essener FDP-Landespolitiker Ralf Witzel, der die Essener Zahlen im Landtag angefragt hatte. „Wir brauchen eine Ursachenanalyse für die besonderen Defizite in unserer Stadt.“
Migrationshintergrund ist unerheblich
Eine umfassende Studie hat die Uni Duisburg-Essen im Juni veröffentlicht – zum Thema Sprachförderung waren sämtliche 244 Kitas in Essen schriftlich befragt worden. Sage und schreibe 87 Prozent der Kitas schrieben zurück – ein konkurrenzlos guter Wert.
26 Kitas mit Sonder-Programm
26 Kitas in Essen machen mit bei der „Bundesoffensive Frühe Chancen“. Sie bekommen besonderes Geld für die Sprachförderung ihrer Kinder. „Bei uns kommen zwei zusätzliche Kräfte an zwei Vormittagen, die nur fürs Thema Sprachförderung zuständig sind“, sagt Andrea Brieger, die Leiterin der AWo-Kita „Schalthaus Beisen“ in Katernberg. Die Förderung ist für alle, nicht nur für Kinder, die bei „Delfin 4“ einen besonderen Förderbedarf erkennen lassen. Die Sprachförderinnen begleiten die Kita-Gruppen und wirken „sprachanregend“, heißt es – also: Immer je nach Situation, eingebunden in die reguläre pädagogische Arbeit in den Gruppen. „Das hat sich bewährt“, sagt Kita-Leiterin Andrea Brieger. Man dürfe sich Sprachförderung also keinesfalls so vorstellen wie Nachhilfe-Unterricht in Extra-Gruppen: „Kinder ‘rauszuziehen aus der Gruppe, würde nichts bringen“, ist Andrea Brieger sicher. Gleichzeitig stellt die Studie zur systematischen Sprachförderung der Uni Duisburg-Essen jedoch fest: „Einen Königsweg der Sprachförderung gibt es nicht“, betont Sybille Stöbe-Blossey. „Es gibt durchaus Einrichtungen und Gruppen, in denen Kinder eine separat durchgeführte Sprachförderung nicht als Stigma, sondern als Privileg empfinden – es ist schließlich ein Mehr an Zuwendung.“
Ein überraschendes Fazit der Studie lautet: „Für den Erfolg des Spracherwerbs ist es unerheblich, ob ein Kind einen Migrationshintergrund hat oder nicht“, sagt Bildungsforscherin Sybille Stöbe-Blossey, die die Studie geleitet hat. „Entscheidend sind vielmehr die sozialen Faktoren.“ Das bedeutet: Wo sich Eltern kümmern, gedeiht das kindliche Deutsch, ganz gleich, ob es sich um die Muttersprache im Haushalt handelt oder nicht.
Besonderer Handlungsbedarf
Die hohen Essener Quoten will Sybille Stöbe-Blossey ausdrücklich nicht als Alarmsignal interpretieren: „Vielleicht bedeutet das ja auch, dass man in Essen genauer hinschaut.“ Trotzdem, betont die Forscherin, gebe es hier grundsätzlich einen „besonderen Handlungsbedarf“. In der Essener Schulverwaltung, die die „Delfin 4“-Ergebnisse auswertet, ist man der Meinung: Lieber ein Kind zu viel fördern als eins zu wenig.
So nachweisbar wirkt Sprachförderung: Lag die Förderquote bei den Vierjährigen im Stadtbezirk VI (Bezirk „Zollverein“, das sind die Stadtteile Katernberg, Schonnebeck, Stoppenberg) noch bei knapp 30 Prozent, verringerte sich die Förderbedarf-Quote bei diesen Kindern bis zur Schul-Entlassung auf unter zehn Prozent. Im Großraum Borbeck benötigte jedes vierte Kind mit vier Jahren eine Sprachförderung. Als die Kita-Zeit zu Ende ging, waren es in diesem Jahrgang nur noch fünf Prozent.