Essen. . Aus Diskussionsabenden CDU-interner Kritiker ist die wohl hochkarätigste Rednerreihe der Republik entstanden: Am Mittwoch lädt das Politische Forum zur 100. Veranstaltung.

Er war jung und wild, die Haare hingen überm Hemdkragen, und „die da oben“ bekamen an diesem Abend im Steeler Stadtgarten seine volle Breitseite: Er sprach von „Machtkartellen“ in den Parteien und Parteitagen als „degenerierte Abstimmungsmaschinerien“, er wollte die Zahl der Mandatsträger in Bund und Land halbieren, und Mandate nur über maximal vier Wahlperioden akzeptieren. Was man halt so sagt, wenn man jung ist und forsch und das Establishment weit.

Der gleiche Veranstalter, 20 Jahre später: Diesmal war er allein auf dem Podium, mit kürzeren Haaren, längerer Redezeit, in einem größeren Saal. Aus Ronald Pofalla, dem jungen Wilden von einst, war der Chef des Bundeskanzleramtes geworden, und vielleicht erklärt der kleine Blick zurück nach vorn, am besten, welchen Weg auch das Politische Forum genommen hat: vom Sammelbecken einiger CDU-interner Kritiker in Essen zum vielleicht hochkarätigsten Gesprächsforum in deutschen Landen, bei dem man die Referentenliste durchbuchstabieren kann: Kohl und Kornblum, Kirchhof und Klemmer, Koch und Keitel.

Fragen erwünscht

Zur mittlerweile 100. Veranstaltung kommt morgen Abend Guido Westerwelle, der Bundesaußenminister, in die Philharmonie. Noch Fragen?

Ganz sicher. Die sind erwünscht, heute wie damals 1990, als man die Debattenreihe mit einem Dutzend Gästen begann. Heute sind es mitunter gut 150 Mal so viele, was der Diskussion naturgemäß Grenzen setzt.

Aber Stephan Holthoff-Pförtner, Rechtsanwalt, Mastermind und Motor des Politischen Forums, war eh noch nie der Ansicht, dass sich am Ende eines Meinungsaustausches alle in den Armen liegen müssen, ganz im Gegenteil sogar: Der 64-jährige einstige CDU-Ratsherr und Miteigentümer der Funke-Mediengruppe, der durch Kanzler Kohl als Mandanten republikweit bekannt wurde, schwärmte immer schon vom „Luxus, sich nicht einigen zu müssen“, ließ DDR-Abwickler Günter Schabowski genauso zu Wort kommen wie Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck; von ihm moderiert sprach Peer Steinbrück (ohne Honorar, wie übrigens alle) übers Investieren und Konsolidieren und Norbert Röttgen über die Energiewende.

Letzterer erstaunte mit einem spannenden druckreifen 60-minütigen Vortrag, ohne nur einmal auf ein Manuskript zu schauen, andere muten dem geladenen Publikum voluminöse Schachtelsätze zu. Aber alle haben sie was zu sagen, und das Politische Forum Ruhr, das sich früher aus Klein-Beiträgen finanzierte und heute längst Großsponsoren benötigt, kann froh sein, dass nicht immer alle kommen können, die im ersten Überschwang zusagen.

„Bitte nicht ankündigen“,

„Bitte nicht ankündigen“, heißt deshalb stets die ungewohnte Bitte an die Medien, wenn Messe oder Philharmonie dem „Salon“-Gespräch in XXL wieder einmal ein Zuhause geben.

„Eine gute Diskussion löst nicht alle Probleme, aber sie bereitet immer eine Lösung vor“ – irgendwann haben sie beim Politischen Forum diesen Satz zu ihrem Leitgedanken gemacht. Und selbst wenn mancher sich auch am Ende eines Vortrags der Lösung nicht unbedingt näher wähnt – unterhaltsam ist der Versuch, politischen Gedanken einen größeren Resonanzboden zu verschaffen, allemal.

„Gut, dass wir drüber geredet haben“, hinter diesen eigentlich spöttisch gemeinten Spruch setzt das Politische Forum ein Ausrufezeichen.

Denn jemandem zuzuhören, ihn ausreden zu lassen, ist ja nicht mehr durchgehend üblich, heutzutage.