Essen. Das Politische Forum Ruhr bereichert seit 1990 die Debattenkultur in Essen und im Ruhrgebiet. Zur 100. Veranstaltung am 11. September wird Bundesaußenminister Guido Westerwelle erwartet

Genau zwölf Zuhörer verloren sich beim ersten Politischen Forum Ruhr am 4. September 1990, was vielleicht mit dem allzu utopisch klingenden Thema zusammenhing. Der Politologe und spätere Rektor der Uni Essen, Karl Rohe, referierte über „Perspektiven eines Wiederaufstiegs der CDU im Ruhrgebiet“. Wenn am 11. September 2013 Bundesaußenminister Guido Westerwelle die 100. Veranstaltung bestreitet, dürfte die Philharmonie Essen wie so oft in den letzten Jahren bis auf den letzten Platz gefüllt sein. Kein Zweifel: Das von den damaligen Essener CDU-Querdenkern Stephan Holthoff-Pförtner und Erich Immesberger gegründete Diskussionsforum hat eine steile Karriere hingelegt und gehört heute zu den bundesweit profiliertesten Veranstaltungen dieser Art.

Auslöser: der Politik-Frust in Essen

„Als wir anfingen, war der Hauptgrund der Frust über die Kommunalpolitik“, sagt Holthoff-Pförtner, der sich seinerzeit mit der CDU-Mehrheit in Essen hoffnungslos überworfen hatte. „Wir hatten keine Lust mehr, im eigenen Saft zu schmoren, wir wollten kommunale Themen offen und parteiübergreifend diskutieren.“ Die gerade in Essen und im Ruhrgebiet eher gering ausgeprägte bürgerliche Streitkultur zu bereichern war ein weiteres wichtiges Motiv. Und schon damals galt das Motto: „Eine gute Diskussion löst nicht alle Probleme, aber sie bereitet immer eine Lösung vor.“

Mit der erstaunlich rasch wachsenden Referenzliste gelang es dann immer leichter, nationale und internationale Größen nach Essen zu lotsen. Kanzler und Kardinäle, Ministerpräsidenten und Spitzenmanager - sie alle nutzten die Gelegenheit, um abseits des kurzatmigen Talkshow-Einerleis ihre Thesen, Ideen und Weltanschauungen erst im Zusammenhang darzulegen und dann zu diskutieren. „An diesem Konzept halte ich weiterhin fest“, sagt Holthoff-Pförtner.

Auch viele Sozialdemokraten waren schon zu Gast

Natürlich kann eine 40- bis 60-minütige Rede lang werden, natürlich steht und fällt solch ein Abend mit der rhetorischen Brillanz des Gastes und der Originalität seiner Gedanken. Drei Beispiele, die in Erinnerung blieben: Peer Steinbrück, als er noch unbeschwert war von der Kanzlerkandidatur, Roland Koch mit der Souveränität des erfolgreichen Wandlers zwischen Politik und Wirtschaft, schließlich der Benediktiner-Abt Notker Wolf, der eine Werte-Debatte über das „Maßhalten“ ohne plumpe Kapitalismus-Kritik zu führen verstand.

Den manchmal zu hörenden Vorwurf, er favorisiere auffallend Redner aus dem liberal-konservativen und wirtschaftsnahen Spektrum, kontert Holthoff-Pförtner mit dem Hinweis auf diverse Sozialdemokraten, die ebenfalls zu Gast waren. Vermutlich war es aber kein Zufall, dass sie alle aus dem pragmatischen SPD-Lager stammen. „Ich habe einen Hang zur bürgerlichen Mitte, dafür werde ich mich auch nicht entschuldigen“, sagt der Essener Rechtsanwalt, Immobilien-Unternehmer und Miteigentümer der Funke-Mediengruppe. Und: „Proporz finde ich langweilig, und ich habe auch keine Lust auf Leute, die erzählen wollen, wie toll die DDR war.“ Ein Oskar Lafontaine etwa wird die Bühne der Philharmonie also so schnell nicht erklimmen, jedenfalls nicht unter der Marke Politisches Forum Ruhr.

An dieser Stelle passt es vielleicht anzumerken, dass kein Redner Geld bekommt - sehr im Unterschied zu Veranstaltungen, die im letzten Jahr in Zusammenhang mit Steinbrück in Verruf gerieten. Seltene Ausnahmen gibt es nur bei Gästen, die ausschließlich von solchen Auftritten leben. Und an noch etwas ist dem Essener Lokalpatrioten Holthoff-Pförtner gelegen: Das Forum ist über die politische Bildung hinaus ein Treffpunkt gerade der Essener Stadtgesellschaft geworden, wie es leider nicht mehr viele gibt.