Essen-Rüttenscheid.. Der Rüttenscheider Kai Gehring sitzt seit 2005 für die Grünen im Bundestag. Warum zu viel Streitkultur schadet und wie sich Bildung wandeln muss, erzählte er bei einem Spaziergang durch „seinen“ Stadtteil, in dem er seit neun Jahren zu Hause ist.

Treffen am Rüttenscheider Stern. Kai Gehring, Bundestagsmitglied der Grünen und Fraktionssprecher für Bildungs- und Hochschulpolitik, gräbt sich tief in seinen Schal, es zieht wie Hechtsuppe. Politisch weht dem 35-Jährigen, der am zweiten Weihnachtstag Geburtstag feierte, zurzeit nicht einmal ein laues Lüftchen entgegen, das politische Parkett in Berlin betritt er erst wieder am 16. Januar. Zeit genug also für einen Spaziergang durch den Stadtteil, der seit neun Jahren seine Heimat und gleichzeitig sein Wahlbezirk ist.

Für grüne Verhältnisse pflegt Gehring ein ungewöhnlich sachlich-nüchternes Image - wenn man von seiner Bezeichnung „Crazy Horst“ für Horst Seehofer bei einer Bundestagssitzung einmal absieht. „Da musste selbst die Protokollantin noch einmal nachfragen“, sagt Gehring und lacht. Darüber hinaus pflege er mit der politischen Konkurrenz den „konstruktiven Dialog“, ist demnächst etwa auf Einladung von CDU-Bildungsministerin Annette Schavan bei einem Neujahrsessen. Eine politische Kultur, die Gehring auch der heimischen Bezirksvertretung ans Herz legt: „Ich wünsche mir mehr Sachlichkeit, um schneller zu Lösungen zu kommen“, sagt er und kritisiert zwischen den Zeilen wohl die manchmal zu wörtlich genommene Streitkultur innerhalb des Stadtteil-Parlaments.

„Ungleiches auch ungleich behandeln“

Beim Gang durch Rüttenscheid lobt er barrierefreie Bürgersteige, den Neubau am Stern (den er bislang nur von außen kennt), den Mehrgenerationenspielplatz an der Paulinenstraße, den er manchmal mit seinen Patenkindern besucht. Von der Haltestelle Rosastraße nehme er jeden Montag den Bus zum Hauptbahnhof, um von dort weiter nach Berlin „auf politische Montage“ zu fahren, wie er es nennt. Das Glückauf-Kino sei ein Lieblingsplatz und das Kulturwissenschaftliche Institut, das ein „Think-Tank“ mit bundesweiter Strahlkraft sei, zu deutsch also eine Denkfabrik, das mit seinen Forschungen zum Klimawandel in die Gesellschaft hinein wirke.

Deutlicher wird Gehring bei seinem Kernthema, der Bildung. Von dem selbst zuerkannten Prädikat „kinderfreundliche Stadt“ sei Essen weit entfernt. „Wenn es um Kinderarmut geht, bin ich dafür, Ungleiches auch ungleich zu behandeln. Das bedeutet, Schulen stärker zu fördern, die in sozialen Brennpunkten liegen“, sagt Gehring. Hauptschulen hätten keine Zukunftschancen, prognostiziert der Diplom-Sozialwissenschaftler, dessen Ziel ein zweigliedriges Schulsystem aus Gymnasien und Gemeinschaftsschulen ist. Es brauche einheitliche Bildungsstandards, was mehr Kooperation auf Bundesebene erfordere. Gehring wird die letzten Tage 2012 also genießen - es liegt viel Arbeit vor ihm.

Sicherer Platz auf der Landesliste

Anfang Dezember wurde Kai Gehring bei der Landesdelegiertenkonferenz in Hagen auf einen sicheren Platz der NRW-Landesliste für die Bundestagswahl 2013 gewählt. Mit dem Bundestagsmandat setzte Gehring 2005 fort, was er in NRW begonnen hatte. Hier baute er den Landesverband der Grünen Jugend mit auf und saß von 2002 bis 2006 als jüngstes Mitglied im Landesvorstand. Bei der bevorstehenden Bundestagswahl trifft er mit SPD-Spitzenkandidat Peer Steinbrück also auf einen alten Bekannten - schließlich arbeitete er mit dem Sozialdemokraten schon zusammen, als dieser noch Ministerpräsident in NRW war. Damals habe es „nicht immer so gut funktioniert“ zwischen beiden, gesteht Gehring, er sei aber „nicht nachtragend“. Die SPD bleibe auch auf Bundesebene mit Peer Steinbrück sein Wunsch-Koalitionspartner, sagt Gehring.