Essen. Die WAZ traf Michael Welling, Chef von Rot-Weiss Essen, zum Interview: Welling spricht über das Image von RWE, erklärt, warum die Essener Fans rauer und rotziger sind und schildert, wie Städte die Chance bekommen, sich durch fußballerische Aushängeschilder positiv ins Gespräch zu bringen.
Herr Welling, auch wenn niemand was dafür kann, aber ein Saisonbeginn nach Maß...
Michael Welling: ...sieht anders aus, in der Tat. Alles war vorbereitet, erstmals nach 19 Jahren wieder ein Rot-Weiss-Essen-Heimspiel vor vier Tribünen zu feiern. Die Fußballgötter waren scheinbar dagegen, Schicksal. Wir arbeiten an der Behebung des Wasserschadens. Das Spiel gegen Bremen findet aber statt.
Gut. Es soll heute vor allem um das Image von RWE, um das Verhältnis von Verein und Stadtgesellschaft gehen. Täuscht der Eindruck oder sind Sie dabei, das Image von RWE zu ändern, den Verein breiter gesellschaftsfähig zu machen?
Welling: Das Image eines Fußballvereins kann man nur ganz langsam verändern, und ehrlich gesagt: Ich finde das Image von RWE in Ordnung. Wir müssen bewahren, was den Verein ausmacht, da dürfen wir uns gar nicht anders positionieren, das würden uns die Fans zu Recht übelnehmen. Aber: Gutes bewahren und für unser Rolle in der Stadt werben, das schließt sich überhaupt nicht aus. Vielen Essenern fehlt einfach die Wissensbasis, es gibt verkürzte Gedanken in Bezug auf RWE.
Welche Gedanken meinen Sie?
Welling: Na, die üblichen Klischees vom Essener Norden und von Fans, die sich die Rübe einhauen. Ich gebe zu: Wir sind ein bisschen rauer und rotziger, das muss auch so sein, das passt zum Ruhrgebiet, das passt zu Essen, das passt zu Rot-Weiss. Und das wollen wir auch gar nicht ablegen. Bei uns im Stadion darf man auch mal „scheiße“ sagen und den Gegner und die eigene Mannschaft beschimpfen, das gehört eben dazu.
Okay, aber bei Gewalt hört der Spaß auf.
Welling: Natürlich, keine Frage. Gewalt ist aber kein fußballspezifisches Phänomen. Da wo Leute in großer Zahl zusammenkommen, wird es immer mal Zwischenfälle geben. Wir sind auf einem guten Weg, früher war bei RWE vieles schlimmer. Wir haben heute andere Fans, wir haben die Fanprojekte, das neue Stadion - das spielt alles eine Rolle. Die Polizei sagt uns, in Sachen Gewalt passiert bei RWE zum Glück nicht viel. Da gibt es andere Fan-Szenen, die weit problematischer sind.
Festhalten darf man: Sie wollen RWE und Essen enger verknüpfen. Soll die Kulturstadt Essen endlich auch wieder mehr Fußball-Stadt werden?
Welling: Soviel gesundes Selbstvertrauen haben wir, ja. Denn Fakt ist, wir sind der mitgliederstärkste Verein der Stadt, wir ziehen mit weitem Abstand die meisten Zuschauer an. Nach einer Studie kennen 97,9 Prozent der Essener Rot-Weiss Essen, der Tusem als zweitgenannter Verein liegt bei 80 Prozent.
Wo kommen die RWE-Fans eigentlich genau her? Gibt es eine Diskrepanz zwischen Süd und Nord?
Welling: Ja, die gibt es, aber anders als man denkt. In einer anderen Studie, die die Uni Duisburg-Essen betreut hat, kam heraus, dass nur 30 Prozent der Stadion-Besucher aus dem Essener Norden kommen - die große Mehrheit kommt aus dem Süden oder aus Nachbarstädten. Das zeigt: Wir sind ein Verein, der in der gesamten Stadt präsent ist. Wir haben in Stadtwald oder Rüttenscheid genauso viele Fans wie in Katernberg. Bei den Mitgliedern sieht es noch etwas anders aus, da gibt es eine Nord-Tendenz.
Was schließen Sie daraus?
Welling: Wir sind der Sportverein Nummer eins in der Stadt, und gehen mit dieser Botschaft über die „Essen - meine Stadt“-Kampagne nach draußen. Wir hoffen natürlich auch, dass sich auf diese Weise mehr Menschen zu ihrer Heimatstadt bekennen. RWE bietet ein Stück Identifikation, und da hat Essen ja durchaus nicht so viel zu bieten.
Werden Sie als RWE-Präsident Michael Welling in der Stadtgesellschaft anerkannt?
Welling: Ja. Ich habe nicht den Eindruck auf Vorbehalte zu treffen, auch nicht in Kreisen, die wenig mit Fußball zu tun haben. Unsere Arbeit wird anerkannt. Ich will uns nicht zu sehr loben, aber seit der Insolvenz sind wir einen guten Weg gegangen. Ich glaube auch, dass viele einfach sehen, welche Kraft dieser Verein hat. 8000 Zuschauer im Schnitt - das ist schon was.
Ist mit der gewachsenen Akzeptanz auch mehr Sponsoring verbunden?
Welling: Das ist natürlich eines unserer Ziele. Denn Fakt ist, ökonomisch können wir nicht mal mit unserem unmittelbaren Konkurrenten in der vierten Liga mithalten. Ich denke da an Viktoria Köln,. wo die Spieler um den Faktor vier bis fünf mehr verdienen als bei uns. Wir haben zwar ein achtbares Budget von etwas über fünf Millionen Euro pro Jahr, aber nur 1,5 Millionen Euro fließen in die erste Mannschaft.
Wohin geht das Geld von RWE, wenn nicht in die erste Mannschaft?
Welling: Wir geben viel für Jugendarbeit aus, und bei durchschnittlich 8000 Fans pro Spiel sind natürlich auch die administrativen Kosten für Dienstleister, Sicherheit, Reinigung erheblich. Ich will nicht klagen, nur feststellen, dass die Rahmenbedingungen ungleich sind. Wir haben keinen großen Mäzen, wir finanzieren uns durch die Einnahmen und Sponsoren. Immerhin 83 Unternehmen plus drei Fanclubs konnten wir als Hauptsponsoren in diesem Jahr gewinnen - das ist überwältigend.
Sponsoren, Rivalen und Erfolg
Okay, aber hat RWE ohne Großsponsor überhaupt eine Chance, in die höheren Ligen aufzusteigen?
Welling: Ich bin Idealist und glaube, dass man mit guter Arbeit die großen Geldtöpfe schlagen kann. Da muss natürlich dann vieles zusammenpassen. Großsponsoren helfen selbstverständlich, aber es ist keine Garantie, dass es wirklich klappt. Im Fußball ist nicht alles planbar, auch mit Geld nicht. Mit Geld ist der Weg nur wahrscheinlicher.
Es gibt ja potente Unternehmen in Essen. Stehen Ihnen die Türen offen?
Welling: Nicht alle, aber man muss das verstehen. Nehmen Sie ThyssenKrupp - die haben derzeit ganz andere Probleme als sich mit RWE zu beschäftigen. Die RWE AG haben wir ja an Bord, und Evonik hat sich eben auf Borussia Dortmund konzentriert. Der Erfolg gibt ihnen recht, das muss man neidlos anerkennen. Diese Unternehmen müssen solche Fußball-Investments natürlich vor ihren Aktionären rechtfertigen, und da ist die vierte Liga eben kein so gutes Argument. Aber: Wir sind im Gespräch und in den letzten Jahren ist es uns gelungen, verloren gegangenen Vertrauen zurückzugewinnen.
Essen und Dortmund sind ja als Städte Rivalen, im Fußball scheint die Schlacht aber für alle Zeiten geschlagen, oder?
Welling: Wer im Fußball nicht träumt, der ist kein Fan. Natürlich muss man realistisch sein, die sind derzeit Lichtjahre entfernt. Aber: Anfang der 1970er Jahre war Essen Erstligist und Dortmund in der zweiten Liga. Und auch Dortmund stand mal kurz vor der Insolvenz. Fußball ist eben immer auch abhängig von glücklichen Umständen. Natürlich träumen wir davon, irgendwann wieder ganz oben mitzuspielen.
Dortmund zeigt auch, was der Fußball einer Stadt geben kann.
Welling: So ist es. Städte haben die Chance, sich durch fußballerische Aushängeschilder positiv ins Gespräch zu bringen. Arbeitsplätze, Kaufkraft, Image - was durch einen Fußballverein in der ersten oder zweiten Liga zu schaffen ist, das ist mit Marketing-Maßnahmen gar nicht leistbar, keine Stadt könnte soviel Geld in die Hand nehmen. Deshalb steht für uns das Thema Identifikation so weit oben. Wir wollen den Menschen große Emotionen bieten, aber natürlich auch rational sein im Umgang mit Entscheidern.
Sind sie zufrieden mit dem Engagement der Stadt Essen?
Welling: Viele stehen parteiübergreifend positiv zu Rot-Weiss Essen. Man kann sich immer mehr vorstellen, das ist klar, aber wir sind nicht so vermessen zu sagen: Ihr müsst dies oder das tun. Die Stadt ist nun mal finanziell nicht auf Rosen gebettet, da kann und muss der Verein dankbar sein, in einem solchen Stadion spielen zu können. Man muss sich noch mal erinnern: Als der Baubeschluss fiel, waren wir in der 5. Liga. Wir müssen jetzt einfach gut arbeiten, dann schauen wir, was passiert.
Am besten stellt sich bald neuer sportlicher Erfolg ein.
Welling: Ja, die Sehnsucht ist natürlich groß. Ich gebe zu, ich träume davon, dass wir dieses Jahr aufsteigen - realistisch ist das aber wohl nicht. Für den Fall, dass es diesmal womöglich wegen Viktoria Köln nicht klappt, dann sollte dieses Ziel im nächsten Jahr offensiver angegangen werden.
Irgendwann wächst erfahrungsgemäß die Ungeduld.
Welling: Das ist so. Einerseits muss ich die Erwartungen dämpfen, übertriebene Erwartungen waren bei Rot-Weiss immer das Problem. Andererseits wollen wir natürlich Erfolg haben. Natürlich habe ich keine Lust in den nächsten 20 Jahren in der vierten Liga zu bleiben.
Bleiben sie dem Verein erhalten?
Welling: Ja. Solange es Spaß macht, mache ich weiter. Mit Geld ist es jedenfalls definitiv nicht möglich, mich wegzulocken. Wenn es nur darum gehen würde, hätte ich den Schritt zu RWE nie gemacht. Otto Rehhagel hat mir mal gesagt: „Die, die dir jetzt den Weg mit Blumen bestreuen, lassen vielleicht irgendwann den Blumenkübel dran - zum werfen.“ Aber soweit sind wir noch lange nicht.