Essen. . Die „RM 95-800 W“ ist 400 Meter lang, mehr als drei Meter breit, 610 Tonnen schwer und weltweit einzigartig: Ein Ungetüm auf Schienen sorgt dafür, dass die S-Bahn-Linie 6 künftig auf frischem Untergrund unterwegs ist. Die gering belastete Strecke wurde 1970 letztmals saniert.
Ein langes Zischen, dann rattert „RM 95-800 W“ ohrenbetäubend laut los. Sekundenschnell fressen sich ihre Schaufeln durch den Untergrund. Nein, wir sind nicht bei der „Star Wars Celebration“ in der Messe Essen, wir sind vielmehr auf der Bahnstrecke der Linie S6 zwischen den Haltestellen Werden und Hügel. Wobei das gigantische Fahrzeug, das sich hier auf 400 Metern Länge über die Schienen schlängelt, genauso gut in einen Science Fiction-Film passen könnte.
Für die Deutsche Bahn erfüllt die 2010 erbaute und rund 15 Millionen Euro teure Maschine jedoch eine viel wichtigere Aufgabe: Sie recycelt, reinigt und sortiert den Schotter im Schienenbett. Vier Tonnen davon liegen unter jedem Meter Schiene, auf Güterstrecken ist nach 20 Jahren ein Austausch nötig, die gering belastete Süd-Strecke der S6 wurde 1970 letztmals saniert.
Irgendwann lockert sich aber auch zwischen Kettwig und Essen Hauptbahnhof das Gleisbett, sind Schienen abgenutzt. Deshalb werden die Gleise in beiden Richtungen erneuert. Die Riesenmaschine ist dabei zwischen Werden und Hügel auf insgesamt 5,4 Kilometern unterwegs. „Wir sind jeden Tag zehn Stunden im Einsatz“, sagt Bauleiter Ralf Kruhner. 1400 Meter Schotter recyceln sie während dieser Zeit, abends dauert es dann stets drei Stunden, die Maschine für den nächsten Arbeitstag vorzubereiten.
20.000 Tonnen Schotter in vier Tagen
Vier solcher Schichten brauchen Ralf Kruhner und seine Leute, um knapp 20.000 Tonnen Schotter zu bewegen und damit das Gleisbett zu lockern und zu säubern. „Der komplette Schotterbestand läuft einmal durch die Maschine“, erklärt der leitende Bauüberwacher Hendrik Frilling. Stück für Stück gräbt sich die „RM 95-800 W“ dafür unter die Schienen und zieht alles, was sich dort befindet in seinen mechanischen Schlund – längst nicht nur Schottersteine. „Alte Schienen, Bauhölzer und jede Menge Pflanzen und Unkraut“, beschreibt Kruhner. Aufhalten kann das den Recyclingprozess nicht, die Maschine filtert den Unrat radikal aus. „Die ist einzigartig auf der Welt“, erwähnt der Bauleiter voller Stolz. Was im übrigen auch für den infernalischen Lärm gilt: Ohne Gehörschutz geht es gar nicht.
Über 80 Meter und vier Stationen läuft der Austausch: Unrat aussortieren, Schotter-Steine schärfen, waschen und anschließend weiterleiten: Rund 60 Prozent des Bestands bringen Förderbänder wieder unter die Gleise. Die übrigen Steine sind kleiner als 32 Millimeter im Durchmesser, sie werden nicht mehr genutzt und landen im Abfallwaggon.
Streckensperrung notwendig
„Früher musste der gesamte Schotter ausgegraben, zu speziellen Aufbereitungsanlagen transportiert und anschließend wieder zurück geliefert werden“, erzählt Bahn-Sprecher Manfred Ziegerath. Mehrere Wochen dauerte damals nur das Recycling. „Hier können wir nun in sechs Wochen eine Strecke komplett sanieren, auch wenn das einigen immer noch zu lange ist“, schmunzelt Ziegerath.
Das dürfte damit zusammenhängen, dass für diesen Zeitraum der komplette S6-Verkehr zwischen Kettwig und Hauptbahnhof ausfällt. Beide Gleise müssen gesperrt sein, anders kann die gigantische Maschine mit einer Breite von 3,20 Metern nicht sicher arbeiten. „Der Mindestabstand zwischen den Gleisen muss 4,5 Meter betragen“, erklärt Ziegerath – beim „RM 95-800W“ sind es kaum mehr als drei.
Sanierung kostet 4,2 Millionen Euro
Deshalb nutzt die Bahn die Vollsperrung, um gleich in einem Rutsch beide Streckenabschnitte zu sanieren. Ab Montag rückt der Schienenbau an. Dann werden mehrere tausend Schwellen ausgetauscht, die Gleise werden nach 40 Jahren Dienst ersetzt, das Schotterbett aufgefüllt und befestigt. Rund 4,2 Millionen Euro investiert die Bahn in die Arbeiten, die bis zum 2. September abgeschlossen sein sollen.
Für Ralf Kruhner und die Riesenmaschine war die Arbeit in Essen schon am Freitagabend beendet. Es geht weiter zur nächsten der Bahn-Großbaustelle im Land – auf der Star Wars Celebration wird der „RM 95-800W“ leider nicht zu sehen sein. Irgendwie schade.