Essen. . Seit Beginn des Jahres bietet der Essener Verein türkischer Frauen eine Selbsthilfegruppe für Frauen mit Gewalterfahrungen an. Ziel der Gruppe ist es, dass die Frauen sich ablenken, zur Ruhe kommen und nach und nach wieder Vertrauen fassen. Die Angebote des Frauenvereins “Ana-Tolia“ sind darauf ausgelegt, lediglich die Sprachbarriere zu überwinden und nicht, vermeintlich typisch türkische Probleme zu thematisieren.

Esra Y.* sitzt mit ihrem Ehemann Özkan Y.* am Küchentisch, sie trinken Tee, wie jeden morgen. Als er ihr wortlos den Handrücken hinhält, den sie ihm küssen soll, stutzt die junge Türkin. Sie weiß, dass der Handkuss in der türkischen Kultur als Ausdruck des Respekts gegenüber Eltern, Lehrern und wesentlich älteren Verwandten gilt, fragt sich aber in diesem Moment: „Warum sollte ich...?“ Das war der Tag, an dem die damals 20-Jährige ihre erste Ohrfeige kassierte.

Als Esra Y.* vor 25 Jahren aus Izmir, der mit 3,5 Millionen Einwohnern drittgrößten Stadt der Türkei, ins Ruhrgebiet kam, erstaunte sie, „dass die Türken in Deutschland noch so traditionell waren“. Trotz oder gerade wegen ihrer liberalen Erziehung heiratete sie damals einen türkischen Mann, mit dem sie zusammen lebte, drei Kinder bekam – und der sie regelmäßig krankenhausreif schlug.

Selbsthilfegruppe trifft sich seit Beginn des Jahres

Mittlerweile ist Esra Y. 45 Jahre alt, geschieden und besucht ein Mal pro Woche die Selbsthilfegruppe für türkischsprachige Frauen mit Gewalterfahrung. Seit Anfang des Jahres bietet der Essener Verein türkischer Frauen, „Ana-Tolia“, unter anderem diese Gruppe unter dem Namen „Kreative Handarbeit“ an – denn „zu einer Gruppe namens ,Gewalt gegen Frauen’ würde wahrscheinlich niemand kommen“, erklärt Filiz Celik, die die Gruppe betreut. Eine grobe Täuschung ist das aber nicht, es wird tatsächlich gebastelt, gestrickt und gehäkelt .

„Die Frauen sollen sich hier zunächst einmal ablenken, zur Ruhe kommen und nach und nach Vertrauen fassen“, erklärt die 47-Jährige. Das Angebot sei stark nachgefragt, vor allem von Türkinnen zwischen 30 und 50 Jahren, „darunter Hausfrauen wie Berufstätige.“ Und überhaupt, Gewalt gegen Frauen sei sicher kein typisch türkisches Problem, betont Celik, es sei eine Persönlichkeitsfrage: „Wenn ein Türke seine Frau erschießt, spricht man von Ehrenmord, tut es ein Deutscher, ist er psychisch krank.“

Selbstbewusstsein in der Gruppe stärken

Die Angebote des Frauenvereins sind darauf ausgelegt, lediglich die Sprachbarriere zu überwinden und nicht, vermeintlich typisch türkische Probleme zu thematisieren. „Gefühle kann eben jeder am besten in seiner Muttersprache ausdrücken“, gibt Nihal Erciyes, Vorsitzende des Vereins, zu bedenken. Auch die Ana-Tolia-Gruppe für türkischsprachige Frauen mit depressiven Verstimmungen trifft sich seit wenigen Monaten und zeigt rund zehn türkischen Frauen, dass sie mit ihrem Problem nicht alleine sind – „denn in der Türkei sind Depressionen noch viel mehr tabuisiert als hier“, weiß Erciyes. Ziel aller Angebote ist es, den Frauen zu mehr Selbstbewusstsein zu verhelfen, sei es durch Gespräche, oder durch gemeinsame Aktivitäten. „Die meisten sind schon froh, einfach mal von zu Hause raus zu kommen“, sagt Celik.

Aus der häuslichen Gewalt rauszukommen, ist meist ein schwieriger Weg. Auch bei Esra Y. klappte das nicht problemlos. Bereits 1993 wagte sie den Versuch, sich von ihrem gewalttätigen Mann zu trennen und zog aus. Doch er suchte nach ihr, holte sie wieder „nach Hause“, sperrte sie ein. „Selbst das Telefon und die Klingel hat er abgestellt, unsere Tochter musste von Oma in den Kindergarten gebracht werden“, erinnert sich Esra Y. Wenn es eskaliert sei, habe er danach immer Besserung gelobt, „und ich habe ihm meist die Chance gegeben“, erzählt die heute 47-Jährige. Am Ende half ihr starker Charakter, und die Unterstützung ihrer Familie. Und ob diese nun deutscher, griechischer oder türkischer Herkunft sei, psychische oder physische Gewalt kommt in den besten Familien vor.

* Namen von der Redaktion geändert

Wir reden darüber – auf Türkisch:

Die Veranstaltungsreihe „Depressionen - wir reden darüber“ findet am Dienstag, 28. Mai um 18 Uhr im Rathaus Bredeney statt – in türkischer Sprache. Meral Renz, Sozialarbeiterin und Psychotherapeutin aus, klärt auf über Angebote in Muttersprache.Eingeladen sind türkischsprachige Männer und Frauen, Betroffene und Angehörige. Die „Ana-Tolia“-Gruppen treffen sich donnerstags im Stadtteilzentrum Kon-Takt am Katernberger Markt. Alle weiteren Infos über Wiese e.V. Tel.:0201 207676