Essen. . Um sich nicht zu den Motiven für mehrere Straftaten äußern zu müssen, bestreitet ein 22 Jahre alter Essener, sich an eine mutmaßlich von ihm begangene Vergewaltigung erinnern zu können beziehungsweise einen schweren Raub begangen zu haben. Das Raubopfer erkannte den Täter als langjährigen Nachbarn und fürchtete, auch Opfer einer Sexualtat zu werden.

Der 22 Jahre alte Borbecker, dem Vergewaltigung und Raub vorgeworfen werden, bleibt auch am zweiten Prozesstag vor dem Landgericht Essen ein Rätsel. Zu seinen Motiven äußert er sich nicht. Aber sein Raub-Opfer, eine 53-Jährige, gab an, sie habe eine Vergewaltigung befürchtet.

Die sexuelle Nötigung einer ihm unbekannten 24-Jährigen in der Nacht zum 22. Januar 2011 auf einem Parkplatz am Borbecker Wolfsbankring hat der Angeklagte nicht bestritten. Er will nur keine Erinnerung daran haben und erkenne sich in dieser Tat nicht wieder, erklärte er zum Prozessauftakt. Dass er der Täter war, liegt nahe. Schließlich belasten ihn DNA-Spuren eindeutig. Dank der angeblich fehlenden Erinnerung erspart er sich aber Fragen zum Motiv. War es eine einmalige Entgleisung oder ist in ihm der Trieb so stark, dass er wieder los geht, um zu vergewaltigen?

Opfer kennt Täter aus der Nachbarschaft

16 Monate später geht er laut Anklage erneut los. In der Tiefgarage seines Viertels in der Borbecker Innenstadt soll er am 5. Juni 2012 um 19.45 Uhr einer 53-Jährigen ein Messer an den Hals gehalten und sie in den Schwitzkasten genommen haben. Geld forderte der Täter. Die Frau soll ihn aber als langjährigen Nachbarjungen identifiziert haben: „Dich kenne ich doch.“ Irritiert soll er geantwortet haben: „Wie?“ Dann hätte er sie auf die Knie gezwungen, mit dem Rücken zu ihm. Als sie ihr Portemonnaie aus der Tasche geholt hatte, sei er verschwunden gewesen.

Sachlich sagt sie aus. Sie betont, dass sie eine Sexualtat befürchtet habe, als sie sich niederknien musste. Nach der Tat ging sie zur Polizei, verteilte aber auch Flugblätter, um andere Nachbarn vor einem Sex-Täter zu warnen. Seinen Namen erwähnte sie darin nicht. Auch, um Rücksicht auf seine Familie zu nehmen. Erst durch ihre Anzeige kam die Polizei ihm durch eine DNA-Probe wegen der Vergewaltigung Anfang 2011 auf die Spur.

Angeklagter bestreitet die Tat

Vor Gericht bestreit der 22-Jährige die als schwerer Raub angeklagte Tat in der Tiefgarage. So muss er sich auch in diesem Fall nicht zu seinen Motiven äußern. Richter Günter Busold forscht beim Lebenslauf trotzdem nach. Viel Zeit hatte der junge Mann in seiner Freizeit am Computer verbracht. Ob er auch Pornos gucke, fragt Busold. Die Antwort kommt schnell: „Nein!“ An anderer Stelle will der Richter wissen, ob der 22-Jährige, der nur einmal für wenige Monate eine Freundin hatte, „in den Puff geht“. Ohne Zögern kommt auch diese Antwort: „Nein!“ Hinten im Saal hören Stiefmutter und Schwester zu. Was soll man da schon antworten?

Seit dem 10. Dezember sitzt der Angeklagte im Essener Gefängnis. Er hat eine Einzelzelle und gilt den JVA-Mitarbeitern als problemlos, unauffällig und zurückhaltend. Kontakt mit anderen Gefangenen hat er nicht, nimmt die Bildungs- und Behandlungsangebote in der Anstalt nicht wahr.

Mutter mit Erziehung überfordert

Verschlossen wirkt er auch, als der Richter etwas über sein bisheriges Leben wissen will. Zögernd kommen Antworten. Manches wisse er gar nicht mehr, sagt der Angeklagte. Als er fünf Jahre alt war, trennten die Eltern sich. Mit seinen Geschwistern zog er zur Mutter. Mit einer Schwester kehrte er Jahre später zum Vater zurück, lebt seitdem bei ihm. Den Grund für den Wechsel kennt er nicht, zur Mutter hat er keinen Kontakt mehr. Die Jugendgerichtshilfe erläutert schließlich, dass die leibliche Mutter mit der Erziehung der Kinder völlig überfordert war. Das Jugendamt habe sich damals eingeschaltet.

Schulisch lief es auch nicht gut für den Angeklagten, der die Förderschule besuchte und im Anschluss „mit Ach und Krach“ den Hauptschulabschluss schaffte. Eine Ausbildung machte er nicht, jobbte gelegentlich bei Zeitarbeitsfirmen. Welchen Beruf seine Schwester ausübt, kann er nicht genau sagen, obwohl auch sie im elterlichen Haushalt lebt. „Ich bin fassungslos“, sagt Richter Busold.