Essen. Im Kunstschacht von Thomas Rother ist das Weltkulturerbe noch so erhalten wie kurz nach Stilllegung: rostig, romantisch und archaisch. Und nirgendwo gibt es mehr handfeste Erinnerungen an den Bergbau
Man muss heute schon ein bisschen abweichen vom Weg, muss die tipptopp gepflegten Industriehallen hinter sich lassen, um Zollverein noch einmal so zu erleben, wie es vor Jahren nach der Zeit der Stilllegung einmal war: archaisch und schön, rostromantisch und ein bisschen durcheinander. Und wenn man dann noch klopft und Thomas Rother Einlass gewährt in seinen Kunstschacht, in dieses seltsam verwunschene Märchenschloss ganz ohne Prinz, Schleiflack und Zentralheizung, dann bekommt man wieder ein Gefühl dafür, dass Bergbau keine Angelegenheit ist, die man einfach nur in Vitrinen stecken kann.
Wer den Kunstschacht besucht, diese eigenwillige Mischung aus Industriemuseum und Atelier, Kumpel-Antiquariat und Möbel-Trödel, Wohnung und Werkstatt, Wunderkammer und vollgestopftem Bergbau-Gedächtnis, der spürt, dass hier jemand seinen Lebenstraum lebt. Dieser Traum handelt vom Bewahren, ohne bloß nostalgisch zu sein, vom Erhalten, ohne die Augen vor der Zukunft zu verschließen.
Für Ordnungsfanatiker wird dieses bis unter die meterhohe Decke gestapelte und gehängte, gesammelte und gesicherte Vielerlei aus Kunst und Kram, aus Arbeitsgerät und Artefakt vielleicht ein Alptraum sein. Für Thomas Rother ist es sein Lebenswerk. Auch wenn die eisigen Temperaturen im letzten langen Winter Rothers Ehefrau Christa zur Rekordhalterin im Wärmflaschen-Befüllen gemacht haben und die Eisblumen am Badezimmerfenster die am schnellsten wachsenden Kunstwerke waren - Rother steht mit ausgebreiteten Armen und zufriedenem Lächeln inmitten dieser wilden Sammlung und präsentiert seine Schätze: den sieben Meter langen Konferenztisch der Kokerei Buer-Hassel, die erste Untertagespannschüppe, die vielen Kohleschütten und Schachtanlagen-Stempel, die Heerschar von Heiligen Barbaras, Schutzpatronin der Bergarbeiter, und die alten Katernberger Taubenschläge, die er vor einiger Zeit vor dem Zollverein-Osterfeuer gerettet hat.
Was andere achtlos wegwerfen, war Rother immer schon wertvoll. Dabei sammelt der frühere Zeitungsredakteur, Essener Künstler und Hüter der Industriegeschichte nicht einfach Dinge, sondern Lebensspuren. Besucher, die einfach kommen und gucken, finden darin immer wieder ein Stück eigener Vergangenheit, Familiengeschichte, Erinnerungskultur. „Meistens fangen die Leute dann irgendwann einfach an, selber zu erzählen“, sagt der Kunstschacht-Chef, „der Ort bewegt Menschen dazu, archäologisch im eigenen Wesen zu arbeiten.“
Rothers archäologische Arbeit hat in den 1980er Jahren begonnen. Damals war der Künstler auf der steten Suche nach ausreichend großem Atelierraum. Der Kunstschacht, damals noch ein altes, heruntergekommenes Maschinenhaus kurz vor dem Abriss, wurde sein größter Fund. Auferstanden aus Ruinen, in endloser Arbeit von Schrott. Gerümpel und Taubendreck befreit, geschrubbt und gewienert und bis heute ein dauernder Fall für Reparaturen, hat Rother hier nicht nur ein Museum seiner eigenen Arbeiten angelegt; mit den duftig-leichten Rosenreliefs aus Büttenpapier, den vielfach variierten Plus-Zeichen, den Zeichnungen und den archaisch-ausdrucksstarken Stahlskulpturen.
„Fühlen Sie sich als Treuhändler der Kohle“
Der Kunstschacht auf Schacht 1/2/8 ist vor allem auch ein Stück fühl- und begehbare, staunen- und eindruckmachende Bergbau-Geschichte. „Fühlen Sie sich als Treuhändler der Kohle. Bewahren Sie an diesem Ort unsere Geschichte“, hat Heinz Horn, damaliger Vorsitzender der Ruhrkohle AG, ins Gästebuch geschrieben. Der Satz ist Rother bis heute Verpflichtung, aber auch Rückhalt. Auf die Hilfe der Ruhrkohle sei immer Verlass gewesen: „Kumpels sind Kumpel.“
Gleichwohl ist Rother heute der einzige Privatmann auf dieser hoch subventionierten, proper restaurierten Welterbe-Zeche. Dass dieses Dasein in der Improvisation, im steten Kampf gegen Kälte, kaputte Leitungen und marode Fenster nicht immer leicht ist, „wenn man sieht, wie auf Zollverein links und rechts die Förder-Millionen einschlagen“, räumt Rother ein. Dennoch kann er sich kein schöneres Künstler-Dasein vorstellen, als mitten im großen Grubenlüfter der Zeche. Manchmal werden hier sogar Hochzeiten gefeiert. Denn Industrie wird Kunst und Kunst wird Leben. Selten kommt das so schön zusammen.
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