Essen. . Der Feierabend eines Schülers ist zunehmend genau das – ein Feierabend, mit Betonung auf Abend. War vor nicht allzu langer Zeit für die meisten mittags der Unterricht beendet, zieht ihr Tag sich heute in die Länge.
Das gilt auch für Gymnasiasten, die das Abitur nun in der Regel nach acht Jahren statt nach neun Jahren machen. „Das Gymnasium wird zunehmend zu einem Lern- und Aufenthaltsort“, sagt Elmar Prinz, Leiter des Maria-Wächtler-Gymnasiums und Sprecher der Essener Gymnasialrektoren. Damit ist schon eines der Themen benannt, die die Verantwortlichen dieser Schulform derzeit beschäftigen.
Mangel an Räumen zum Nichtstun
„Ein Oberstufenschüler hat im Schnitt 34 Wochenstunden. Die lassen sich schon aus organisatorischen Gründen nicht ohne Unterbrechung einplanen“, so Prinz. „Die Schüler sind heute deutlich länger in der Schule und das unter gestiegenen Anforderungen.“ Räumlich aber sind die Schulen nicht dafür gemacht, dass Kinder und Jugendliche hier einen so großen Teil ihrer Zeit verbringen. Es mangelt an Bereichen, in denen sie zwischendurch allein oder in Gruppen lernen oder auch einfach mal für eine Viertelstunde nichts tun können. Den ganzen Tag im gewohnten Klassenraum – dem Level an geistiger und kreativer Energie dürfte das wenig zuträglich sein. Die Gymnasien sind bemüht, für dieses Problem Lösungen zu schaffen. Denn Aufenthaltsorte brauchen auch Aufenthaltsqualität.
In der 10. Klasse ins Ausland
Doch zurück zu G8, jenem Thema, das die Gespräche über das Gymnasium zuletzt bestimmten. In Essen arbeiten fast alle Schulen nach dem beschleunigten Verfahren – lediglich das Gymnasium Borbeck nahm das Angebot der nordrhein-westfälischen Landesregierung wahr, zur Reifeprüfung nach neun Jahren zurückzukehren. Auch an den Gesamtschulen haben die Jugendlichen weiterhin mehr Zeit auf dem Weg zum Abitur. Diese Angebotsvielfalt sei sicher sinnvoll, sagt Elmar Prinz, aus seiner Sicht aber habe sich G8 bewährt.
Auch Vorbehalte, ein Auslandsjahr könnten sich die Schüler unter diesen Voraussetzungen nicht mehr leisten, seien unberechtigt gewesen. „G8 hat nicht dazu geführt, dass weniger Schüler ins Ausland gehen.“ Statt in Klasse 11 gehen sie nun in Klasse 10. Und für sein eigenes Haus kann Prinz sagen: „Wir hatten noch keinen, der danach die Versetzung nicht geschafft hat.“
Die Einführung des sogenannten „Turbo-Abiturs“ haben die Gymnasien inhaltlich gemeistert, findet der Rektoren-Sprecher. Doch die nächste Herausforderung wartet schon: Inklusion lautet die Devise, wie an den anderen Schulformen auch. Möglichst alle Kinder mit Behinderung und besonderem Förderbedarf sollen künftig an den Regelschulen unterrichtet werden. „Den Gymnasien geht der Ruf hinterher, wir lassen diese Schüler außen vor“, so Prinz. „Das stimmt nicht. Wir hatten schon immer Kinder mit Hör- und Sehbehinderung in unserer Schülerschaft.“
Bei Inklusion noch zaghaft
Wahr sei aber auch: „Es gibt Kinder, auf die wir nicht vorbereitet sind.“ Das liege zum einen an der baulichen Beschaffenheit der Schulen, Rollstuhlfahrer hätten es an vielen Standorten schwer. Zum anderen sei mehr sonderpädagogisches Fachwissen nötig. Eine „integrative Klasse“ bietet unter den Essener Gymnasien derzeit lediglich die Alfred-Krupp-Schule an. Doch auch die übrigen Gymnasien müssten die betroffenen Kinder aufnehmen, wenn Eltern es wünschen. „Ich bin gespannt auf die Anmeldungen“, sagt Prinz.
Weitere Veränderungen gab es bei den Gymnasien zuletzt im Bereich der Fremdsprachen. Spanisch ist auf dem Vormarsch und löst zunehmend das Französische ab. Mit dem Viktoria-Gymnasium und der Goethe-Schule bieten nun zwei Essener Standorte Spanisch ab Klasse 6 an. „Das Erlernen von zwei Fremdsprachen ist immer noch ein Alleinstellungsmerkmal der Gymnasien“, sagt Prinz, der nicht nur im sprachlichen Bereich die Vielfalt der Essener Gymnasiallandschaft lobt: „Eine solche Profilierung findet man so selbst in Düsseldorf nicht.“ Da gebe es musische Zweige und Bläserklassen, Schulen mit naturwissenschaftlichem Schwerpunkt, Leistungskurse in Technik, ein besonderes Augenmerk auf Gestaltung und Theater.
Kurzum: Was macht das Gymnasium als solches aus? Für wen ist es die richtige Adresse? „Für diejenigen, die eine vertiefte Bildung, nicht nur eine erweiterte Bildung wünschen“, so Prinz. „Das Gymnasium ist zwar auch auf die berufliche Ausbildung ausgerichtet, in erster Linie aber auf die Studierfähigkeit.“ Dementsprechend sind die Anforderungen: „Die Kinder müssen eine gewisse Motivation, Neugier und Lernausdauer an den Tag legen.“