Essen. . Mit Burschenschaften haben sie nichts am Hut, sagen die Mitglieder der Studentinnenverbindung „Unitas Franziska Christine zu Essen“. Mit Tradition und Hierarchie dagegen schon. Ein Besuch in Borbeck.
Kristin Koska wird demnächst zu einer Prüfung antreten. Das ist nichts Ungewöhnliches, schließlich studiert die junge Frau – Grundschullehramt. Diese Prüfung aber wird nicht an der Universität abgehalten und es geht auch nicht um Pädagogik. Koska möchte Mitglied im Studentinnenverein „Unitas Franziska Christine zu Essen“ werden. Dafür wird sie Fragen beantworten müssen – Fragen zu den Organen des Verbandes, seiner Historie, seinen Regeln. Und derer gibt es viele.
Tische im Halbrund
Vor allem die Hierarchien sind klar vorgegeben beim weiblichen Ableger von „Unitas Ruhrania“, dem katholischen Studentenverband mit Sitz in einem schmucken Anwesen an der Borbecker Flurstraße. Als „Fux“ muss Kristin Koska sich noch bewähren, bevor sie „gedamt“ wird – „Burschung“ heißt das bei den Herren. Und Koska ist entschieden, diesen Weg zu gehen. Eine Bekannte hatte sie vor einiger Zeit in der Uni angesprochen und eingeladen zu einem Treffen. Als „katholisch sozialisierter Mensch“ mit Interesse an Bildung und neuen Begegnungen fühle sie sich wohl in dem Kreis, der mit Weiß, Gold und Blau die Farben des Vatikans und der Weisheit zu den seinen erhoben hat.
Auf dem Dachboden des Hauses an der Flurstraße, wo Tische im Halbrund angeordnet sind, finden sich die Farben vielfach wieder: auf Wimpeln, Fahnen – und auf den Schärpen von Tamara Scholz und Karina Terwedow. Scholz (24) ist die Vorsitzende, die „Prima“ von Unitas Franziska Christine, sie hat die Gruppe vor knapp drei Jahren gegründet. Dabei hatte die junge Frau mit den blonden Locken von Verbindungen allenfalls am Rande gehört, als sie zum Studium vom Niederrhein nach Essen zog. Auf eine Wohnungsanzeige meldete sich bei ihr ein Vertreter von Unitas. Die Borbecker hatten gerade beschlossen, auch Frauen „aufs Haus“ zu holen, wie es im Verbindungsjargon heißt.
Starkes soziales Engagement
Scholz winkte ob des überraschenden Anrufs zunächst ab, änderte später aber ihre Meinung und zog als erste Frau in die Räume an der Flurstraße, wo Unitas an rund zehn weitere Studenten vermietet, Mitglieder ebenso wie interessierte Nicht-Mitglieder. Die Bewohner banden Scholz ein, nahmen sie mit zu einem „Aktiventag“, einem Treffen von Unitas-Gruppen aus ganz Deutschland. Scholz gefiel der Gemeinschaftssinn. „Das ist für uns ein Lebensbund. Wenn ich in eine fremde Stadt komme und es gibt dort nur einen Unitarier, dann habe ich schon einen Freund.“
Neubauten im Uni-Viertel
Die Lehramtsstudentin scharte einige weibliche Gleichgesinnte um sich und hob die neue Gruppe aus der Taufe. Seit 1998 organisieren sich in der 1855 gegründeten Unitas auch Frauen. Als Namensgeberin für ihren Ableger wählten die Essenerinnen die Fürstäbtissin Franziska Christine. „Sie war zu ihrer Zeit eine der mächtigsten Frauen in Deutschland und hat zudem starkes soziales Engagement gezeigt“, sagt Scholz über die Kirchenfrau.
Distanz zu Rechtsextremismus
Scholz betont immer wieder christlich-katholische Werte als Klammer über dem Wirken von Unitas, während sie und ihre Mitstreiterinnen im Gemeinschaftsraum auf den Vortrag warten, der an diesem Abend ansteht. Um sie herum an den Wänden und in den Schränken finden sich Bibeln und Liederbücher ebenso wie Bierhumpen und die Rechnung vom Getränkelieferanten. Die Abgrenzung zum Bild von der Burschenschaft, sie fällt schwer.
Scholz kennt das. „Ich muss mich ständig rechtfertigen.“ Unverdrossen wiederholt sie ihre Botschaften. „Wir grenzen uns klar von schlagenden und saufenden Verbindungen ab.“ Mit den Burschenschaften habe man nichts gemein. Deren Dachverband hatte jüngst noch über die Wiedereinführung eines „Ariernachweises“ für seine Mitglieder diskutiert. „Da wir katholisch sind, schließt sich das mit unserem Menschenbild aus“, sagt Scholz. „Wir distanzieren uns von jeder Form des Rechtsradikalismus.“ Bei Demos gegen Rechts in Borbeck habe der Verband schon Flagge gezeigt.
Die Sprache derVerbindungsleute
Traditionsbewusst sei man freilich durchaus. Das zeigt sich nicht nur in der Sprache der Verbindungsleute – „Chargen“ heißen die Führungspositionen, „Kommersen“ die offiziellen Feiern und „Kneipen“ die weniger förmlichen Zusammenkünfte – sondern auch in den Bräuchen, die sie pflegen. Bei Festen müssen die Unitarier sich an den „Comment“ halten, eine Art Verhaltenskodex. Was mitunter bedeuten kann, zwei oder drei Stunden lang nicht vom Tisch aufstehen zu dürfen, auch nicht für den Gang zur Toilette. Stellt man da nicht schon mal die Sinnfrage? Auch hier hat Scholz eine Antwort parat. „Mönche hielten früher Kneipen ab, um das maßvolle Trinken zu üben.“
Dieser Tage begeht der Studentinnenverein Franziska Christine sein drittes Stiftungsfest. Fünf Mitglieder und zwei Anwärterinnen zählt die Gruppe derzeit – nicht gerade viel. Dabei gibt es immer mal wieder Interessierte. „Manche suchen eher einen Partyverein und fühlen sich bestätigt, wenn zufällig als erstes eine Kneipe ansteht“, sagt Tamara Scholz. „Wenn dann als nächstes ein theologischer Impulsabend kommt, sind sie schnell wieder weg.“