Essen. . Ihr Zuhause im Übergangsheim in Essen-Burgaltendorf ist klein und karg, doch für Familie Redjepov bedeutet es Glück. In Mazedonien lebten sie in Armut und waren als Christen auch innerhalb der Roma-Gemeinschaft isoliert. Viele Sinti und Roma kommen nach Deutschland, um hier den Winter zu überstehen.

Muso Redjepov weiß, wie trügerisch Hoffnungen sein können. Der 36-Jährige ist nicht zum ersten Mal in Deutschland, als Junge war er schon einmal da, mit seinem Vater. Er hat die Schule besucht, Deutsch gelernt, Freunde gefunden: „Als ich klein war, war ich in Deutschland und mein Leben war groß.“ Nach fünf Jahren war sein Glück vorbei, die Familie musste zurück ins heimische Mazedonien.

Erst hat er geweint, dann hat er sich abgefunden. Fast zwei Jahrzehnte lang. In Mazedonien konnte er keine Schule besuchen, keine Pläne machen. Muso Redjepov arbeitete als Tagelöhner, half mal dort auf dem Bau, mal da bei der Ernte, sammelte Flaschen, sortierte Müll. Das Geld reichte nie, nicht für eine vernünftige Wohnung, nicht für den regelmäßigen Schulbesuch seiner drei Kinder Menan (19), Meljani (16) und Emanuel (8).

Der Kleine sammelte Flaschen

Wenn man die Familie fragt, was sie im mazedonischen Gradsko zurückgelassen haben, ist das nicht viel. Eine elende Wohnung, in der der Strom und das Wasser meist abgestellt waren. „Das Wasser holten wir bei den Nachbarn“, sagt Musos Frau Emine (34). Sie haben das hingenommen, haben die Kinder in den Unterricht geschickt, wenn sie das Schulgeld hatten. „Dann wurden sie oft ausgeschimpft: ,Du weißt nichts.’ oder sie wurden nach Hause geschickt, weil ihre Kleider schmutzig waren.“ Bald verließen die Großen die Schule, der Sohn lernte Elektriker, die Tochter Kosmetikerin. „Wenn wir Brot brauchten, musste auch der Kleine arbeiten, Flaschen sammeln, in den Müll.“

Es war ein hartes Leben, doch sie ertrugen es, ertrugen auch die Beschimpfungen: „Zigeuner, Scheiß-Zigeuner.“ Nur geriet die Familie dann auch innerhalb der Roma-Gemeinschaft ins Abseits: Die Eltern begannen in der Bibel zu lesen, ließen sich evangelisch taufen. „In Gradsko sind alle Roma Muslime, wir haben keine Arbeit mehr bei ihnen bekommen, mussten heimlich zur Kirche gehen, die Kinder wurden bedroht, der große Sohn traute sich nicht aus dem Haus“, sagt Redjepov. Als es unerträglich wurde, fuhren sie nach Deutschland.

Die Kinder haben nun keine Angst mehr

Nun sitzen sie im Übergangsheim an der Worringstraße in Burgaltendorf: Eine Wohnküche, ein Schlafzimmer, eine Nasszelle, 27 Quadratmeter für fünf Personen. Jeden Sonntag geht die Familie zur Kirche, ansonsten füllen Behördengänge ihre Tage. Am Montag beginnt die Schule für die Tochter, der kleine Emanuel geht bereits zur Schule. Geht gern, auch wenn der Weg weit ist, weil die Unterkunft im Nirgendwo liegt. „Er ist glücklich, lernt Mathematik und Deutsch, und die Lehrer schlagen nicht. Sie sind nett und haben ihm einen Stift geschenkt.“

Niemand beschimpft sie, die Kinder haben nun keine Angst mehr. Nur Muso Redjepov hat Angst, weil er weiß, wie endlich Glück sein kann: „Ich schlafe schlecht, weil ich denke, sie holen uns ab.“

Viele Sinti und Roma kommen, um zu überwintern 

Dirk Berger ist Sozialarbeiter und seit bald 20 Jahren Flüchtlingshelfer beim Diakoniewerk. Dort ist noch eine Flüchtlingshelferin beschäftigt, eine weitere gibt es bei der Caritas; zu dritt besetzen sie zwei Stellen. Zuständig sind sie für 715 Flüchtlinge, die derzeit in den zehn Übergangsheimen der Stadt wohnen. Und für 2300 Menschen, die unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallen und in Privatwohnungen leben. Weil die Zahl der Flüchtlinge steigt, sollen zwei neue Unterkünfte geöffnet werden, sollen die Flüchtlingshelfer Verstärkung bekommen.

Es kommen vermehrt Roma und Sinti aus Serbien und Mazedonien, seit es keine Visumspflicht mehr für sie gibt. Dass sie kaum Chancen haben, als Asylbewerber anerkannt zu werden, wüssten sie. „Viele sind ja nicht zum ersten Mal hier. Doch die Lebensumstände in ihrer Heimat sind halt katastrophal.“ Dort habe sich wohl auch herumgesprochen, dass statt 220 seit diesem Jahr 340 Euro an Sozialleistungen gezahlt werden. Die Gerüchte von Schleppern hält Berger freilich für Unfug: „Die zahlen 100 Euro für ein Ticket und setzen sich in den Bus.“ In Skopje solle es Plakate geben: „Fahr’ zum Überwintern nach Deutschland“.

Es ist ein Überwintern in kargen Unterkünften, oft ist das Bad auf dem Flur. Doch die Flüchtlinge richten sich ein, ihre Kinder müssen – dürfen! – zur Schule gehen, der Unterhalt ist gesichert. „Die Leute können in der Heimat nicht arbeiten und hier nicht arbeiten. Nur: Hier sind sie krankenversichert.“

Mancher sammle nebenbei Altmetall, was die deutschen Nachbarn ebenso störe wie der Lärm. Dafür hat Dirk Berger Verständnis. „Was mich jedoch stört, ist die Erwartung vieler Bürger, dass da eine Horde Schwerverbrecher einreist.“ Er habe mit den Flüchtlingen aus aller Welt, auch mit den Sinti und Roma, nur positive Erfahrungen gemacht: „Es ist schon mal laut geworden, aber ich bin noch nie bedroht oder beklaut worden.“

Die Chancen auf Anerkennung als Asylbewerber sind gering

Die Forderung ist so plakativ wie populär, doch Flüchtlingshelfer Dirk Berger vom Diakoniewerk kann sie nicht verstehen. „Der Bund muss die Asylverfahren beschleunigen“, hat Sozialdezernent Peter Renzel dieser Tage erklärt. Das gelte insbesondere für die Sinti und Roma, die derzeit den Großteil der Bewohner in den Übergangsheimen der Stadt stellen und praktisch keine Aussicht haben, einen dauerhaften Aufenthaltstitel zu bekommen.

„Gerade deswegen werden diese Verfahren in der Regel sehr schnell abgeschlossen“, sagt Berger. Er wundere sich, wie da noch mehr Tempo gemacht werden solle. „Bei den Sinti und Roma aus Serbien und Mazedonien ist das in ein paar Wochen erledigt; und dann bekommen sie gegen einen ablehnenden Bescheid nur eine Widerspruchsfrist von einer Woche; weil ihr Anliegen hier zu bleiben, als ,offensichtlich unbegründet’ gilt.“

Wenn ihr Antrag auf Asyl abgelehnt wird, machen einige der Flüchtlinge Abschiebehindernisse geltend. Das können humanitäre oder gesundheitliche Gründe sein wie schwere Krankheiten oder eine Schwangerschaft. Daher können tatsächlich einige Familien in Essen überwintern. Außerdem gab es in einigen Jahren einen sogenannten Wintererlass des Landes, der etwa Roma aus dem Kosovo während der Frostperiode vor der Abschiebung in ihre Heimat bewahrte.

„In anderen Fällen vollzieht die Ausländerbehörde durchaus Abschiebungen. Frühmorgens werden die Leute in den Unterkünften abgeholt und zum Flughafen gebracht“, sagt Berger. Danach würden sie mit einem Einreiseverbot von fünf Jahren belegt und müssten die Kosten für die Flüge tragen, sobald sie Einkünfte haben. „Deswegen riskiert fast niemand eine Abschiebung.“

Stadt braucht neue Unterkünfte

Zehn Übergangsheime mit 700 Plätzen gibt es in Essen. Schon jetzt leben hier 715 Flüchtlinge, 2011 waren es im Schnitt 550.

In den 1990er Jahren lag die Zahl der Flüchtlinge viel höher. „Da waren hier nicht 700, sondern 5000 Menschen“, so Flüchtlingshelfer Dirk Berger (Diakoniewerk). Als die Zahl der Flüchtlinge abnahm, wurden einige Unterkünfte geschlossen.

Zwei neue Unterkünfte will die Stadt nun öffnen, um den wiedder steigenden Flüchtlingszahlen gerecht zu werden. Zudem soll Auf’m Bögel in Haarzopf eine dritte Einheit mit 40-50 Plätzen entstehen. Keine Unterkunft liegt so abgelegen wie die Norwegerhäuser an der Worringstraße in Burgaltendorf, zwischen Ruhr und Gewerbegebiet.