Essen. Seit 38 Jahren werden Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund an der Essener Uni unterrichtet. Fast die Hälfte von ihnen schafft das Abitur. Trotzdem muss das Projekt immer wieder um Finanzierung kämpfen.
Eigentlich war Yakubs Weg schon vorgezeichnet: In der Grundschule bereits auffällig, wechselte der kompakt wirkende Junge in die Hauptschule. Dort kam er nicht zurecht, schrieb nur Fünfen, legte sich mit Lehrern an, verprügelte Klassenkameraden und landete schließlich in einer Förderschule. „Doch irgendwann dachte ich, wenn ich hier bleibe, wird gar nichts mehr aus meinem Leben“, sagt der heute 19-Jährige, der inzwischen ein Gymnasium besucht.
Geholfen hat ihm der Förderunterricht für Kinder mit Migrationshintergrund, der seit nunmehr 38 Jahren an der Uni Essen-Duisburg angeboten wird. 880 Schüler der Klassen 6 bis 13 nehmen den kostenlosen Unterricht wahr, kommen freiwillig ein bis dreimal die Woche, um in Kleingruppen zu lernen. „Wir verstehen uns nicht als Nachhilfeunterricht, der Kinder gerade eben durch die Versetzung bringt“, erklärt Gülşah Mavruk die Ziele, „wir wollen aus unseren Schülern das Beste rausholen, sie fit fürs Abi, Studium oder die Berufsausbildung machen.“
Viele Kinder aus Hartz IV-Familien
Die 26-Jährige Doktorandin hat hier selbst vier Jahre lang als Förderlehrerin gearbeitet, bevor sie von Projektleiterin Claudia Benholz ins kleine Team geholt wurde. Seitdem ist sie in allen Belangen Ansprechpartnerin für die Schüler und deren Eltern. „80 Prozent unserer Kinder kommen aus Hartz IV-Familien. Bei uns gibt es über 40 Nationen, werden 25 Sprachen gesprochen.“ Da hilft die Pädagogin auch schon mal bei Anträgen, regelt Probleme. „Am meisten beeindruckt mich immer wieder, mit welcher Freude die Kinder nach dem regulären Schulunterricht zu uns kommen.“
Das liegt auch an dem Engagement der 115 Lehramtsstudenten, die in allen Fächern unterrichten. „Die Lehrer hier nehmen sich viel mehr Zeit, gehen auf uns ein und erklären alles in Ruhe,“, sagt der 13-jährige Vikna. Um zwei Noten hat sich der Achtklässler in den Fächern, in denen er gefördert wird, verbessert. Auch Renma (17) kommt schon seit zwei Jahren regelmäßig in die Uni, hat dank der Förderung als Klassenbeste problemlos den Sprung in die Oberstufe geschafft. „Ich möchte mal Jura studieren“, sagt sie.
Tareg Omari hat sein Abi bereits in der Tasche, studiert jetzt Umwelttechnik. „Ich war selbst hier als Schüler und bin jetzt Förderlehrer.“ Wie seine Kollegen empfindet er sich nicht als Autorität, sondern als Partner der Schüler, „mit dem man über alles sprechen kann“. Für Yakub war das die Rettung: „Die Lehrer hier sind meine Freunde. Sie haben mir Spaß am Lernen vermittelt.“ Nächstes Jahr wird das Abi machen und seinem Wunsch, Pilot zu werden, ein Stückchen näher gekommen sein.
„Jahr für Jahr müssen wir um unsere Finanzierung kämpfen“
Mehr als 6000 Schüler haben die Förderkurse in Essen bislang besucht, gut die Hälfte von ihnen brachte es zur Hochschulreife. Trotz dieser Erfolgsbilanz, die auch ein Beispiel für gelungene Integration ist, muss das Projekt jedes Jahr erneut um die Finanzierung kämpfen.
„Wir sind als Modellprojekt für ganz Deutschland gestartet, sind vielfach ausgezeichnet und stehen immer noch nicht auf sicheren Beinen“, bedauert Claudia Benholz. Mehr Unterstützung durch die Kommune und das Land wünscht sich die Leiterin des seit fast vier Jahrzehnten bestehenden Förderunterrichts, der jährlich von 800 bis 900 Kindern genutzt wird und der gleichzeitig der Lehrerausbildung dient.
300.000 Euro beträgt das jährliche Budget, davon werden 115 Förderlehrer und drei wissenschaftliche Mitarbeiterinnen bezahlt. Ende 2013 wird sich die Mercatorstiftung, bislang größter Geldgeber, aus der Finanzierung verabschieden. Die Stadt tat das bereits vor zwei Jahren - trotz massiver Proteste. Im kommenden Jahr wird das Projekt über das neue Bildungspaket bezahlt. Das bewilligt den Kindern allerdings nur eine einjährige Förderung in maximal zwei Fächern. „Das ist mit einem unglaublich bürokratischen Aufwand verbunden“, erläutert Benholz. So müsse man für jeden Schüler einen Antrag stellen.