Essen. Das Baedekerhaus, entworfen von einem Architekten in städtischen Diensten, revolutionierte in den 1920er Jahren das Stadtbild. Anfangs taten sich viele Bürger damit durchaus schwer

Die 1920er Jahre - das war in Essen die hohe Zeit der experimentellen Architektur. Erstaunlich viele Gebäude entstanden, die in die Baugeschichte eingingen, und was heute fast unglaublich klingt: Nicht Star-Architekten oder aufwendige Wettbewerbe waren hierfür verantwortlich, sondern Angestellte und Beamte der Stadt schufen Werke von zeitloser Modernität.

Ein Beispiel dafür ist das Baedekerhaus, das von Beginn an eine Buchhandlung beherbergte und in diesen Tagen erstmals einer neuen Nutzung entgegensieht. Es entstand in Teilen auf dem Grundstück, auf dem Buchhandlung und Verlag Baedeker bereits seit 1819 ansässig waren. Anstelle dieses alten Hauses schuf der Architekt und Leiter des Essener Hochbauamtes, Ernst Bode einen Neubau von beträchtlicher Monumentalität. In seinen Worten ging es darum, „Bauanlagen von solcher Größe und Kraft zu schaffen, wie sie sonst nur in früheren Zeiten der gewaltige Wille eines absolutistischen Herrschers in den alten Residenzstädten aus dem Boden gestampft hat“.

Abriss mit Wehmut

Der Hintergrund solcher martialischer Aussagen: Essen, die damals unumstrittene inoffizielle „Hauptstadt“ des Ruhrgebiets, sehnte sich nach einem architektonischen Stadtbild, das dieser Bedeutung entsprach. Denn bis dato versprühte vor allem der Stadtkern eher kleinstädtische Biederkeit. Nun aber verwandelte sich besonders die Gegend rund um den Burgplatz in eine moderne Geschäftsstadt. Bode selbst steuerte auch den Lichtburg-Komplex bei.

Unumstritten war all das nicht. Es bedurfte langer Verhandlungen mit Baedeker, und auch große Teile der Essener Bürgerschaft sahen den Abriss des alten Hauses mit Skepsis. Die „Essener Volkszeitung“ beschrieb es am 8. Januar 1926 so: „Nicht nur die Firma, sondern auch mancher Essener wird mit Wehmut dieses Wahrzeichen einer unserer ältesten Patrizierfamilien fallen sehen und sich auch dann noch gern des alten Bildes erfreuen, wenn durch Errichtung eines modernen Gebäudes den Anforderungen der Jetztzeit Genüge getan wird.“

Obwohl mit einem Schlag die größte Buchhandlung Westdeutschlands mit Platz für immerhin 30 000 Bücher entstand, fremdelte auch die Familie Baedeker mit ihrem neuen Domizil, in dem man Mieter der Stadt war. In die oberen Geschosse zog der Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk, der spätere Kommunalverband Ruhrgebiet ein, bis dieser 1929 in das eigene Gebäude an der Kurfürstenstraße wechseln konnte. Das Baedekerhaus erwies sich in den oberen Etagen dann als schwer zu vermieten, Bode galt im Nachhinein als ehrgeiziger Beamter, der der Stadt arge Leerstände hinterlassen hatte.

Bombenschutz und Kunst vereint

Monumental wirkte das Baedekerhaus vor allem durch die strenge, blockhafte Form und die mit rohen Muschelkalk-Quadern verkleidete Fassade. In Essen glaubte man Anleihen bei italienischen Palazzi der Renaissance zu erkennen. Das Baedekerhaus ähnelte aber auch dem Stuttgarter Hauptbahnhof, der zwischen 1914 und 1928 nach den Plänen des Architekten Paul Bonatz entstanden und um dessen Teilabriss jüngst in Stuttgart so erbittert gerungen wurde. Bonatz hatte Bode als Assistenten beschäftigt und stand mit ihm seitdem in freundschaftlicher Verbindung.

Der berühmte Bildhauer Josef Enseling, bei dem später auch Joseph Beuys studierte, schuf für das Gebäude aus Muschelkalk vier Figuren von je einer Größe von 3,60 m Höhe. Die beiden ersten wurden im März 1927 am ersten Bauabschnitt des Baedekerhauses enthüllt. Die männliche Figur, die in der rechten Hand ein Symbol des Erdballs hält, symbolisiert den Handel und die weibliche Figur, die ein Buch in der Hand hält, die Wissenschaft. Zwei weitere stellen die Kunst und die Arbeit dar. Den Abschluss der aufwendigen Bauarbeiten bildete 1930 dann die Anbringung des großen Schriftzuges „Baedekerhaus“. Verwendet wurden dafür ein Meter hohe Bronzebuchstaben.

Im Gegensatz zu den alten Gebäuden der Innenstadt zeigten sich die massiven 20er-Jahre-Bauten gegen die Bomben des Zweiten Weltkriegs besser gewappnet, die Fassade des Baedekerhauses etwa blieb fast vollständig erhalten.