Essen. . Die Debatte über ein Urteil des Kölner Landgerichts, das die Beschneidung von Jungen im Säuglingsalter verbietet, hält unvermindert an. Eckhard Nagel, ärztlicher Direktor der Uniklinik, spricht sich dafür aus, den Einzelfall zu betrachten. Die körperliche Unversehrtheit eines Kindes aber hält Nagel für ein “zu verteidigendes Rechtsgut“.

Die kontroverse Debatte über ein Urteil des Kölner Landgerichts, das die Beschneidung von Jungen im Säuglingsalter verbietet, hält unvermindert an. Über das Urteil, den Eingriff und die Konsequenzen sprach Jennifer Schumacher mit Eckhard Nagel, dem ärztlichen Direktor der Uniklinik.

Herr Professor Nagel, inwieweit sollte die medizinische Selbstbestimmung über die Religionsfreiheit gestellt werden?

Eckhard Nagel: Im Prinzip geht es hier ja um eine genaue und differenzierte Abwägung verschiedener Auffassungen und Rechtsgüter. Einerseits gibt es die in unserer Verfassung verankerte Religionsfreiheit und das elterliche Erziehungs- und Personensorgerecht. Dem steht auf der anderen Seite das Recht der körperlichen Unversehrtheit des einwilligungsunfähigen Kindes gegenüber. Es gilt hier in einem gesellschaftlichen Diskurs, diese Standpunkte in bedachter und angemessener Weise auch unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit miteinander in Einklang zu bringen.

Ist das hier geschehen?

Wir müssen ganz genau den Einzelfall betrachten. Die religiös-kulturell motivierte, medizinisch sachgerecht durchgeführte Beschneidung eines Jungen ist sicherlich in diesem Kontext anders zu bewerten als eine ganz eindeutig verstümmelnde Beschneidung von jungen Mädchen. Insofern muss generell Verständnis dafür aufgebracht werden, dass das Recht der körperlichen Unversehrtheit bei nicht einwilligungsfähigen Kindern ein höchst relevantes und auch gegenüber elterlichen Einschätzungen zu verteidigendes Rechtsgut ist.

Begrüßen Sie das Urteil oder überwiegt bei Ihnen die Skepsis?

Ich stehe diesem Urteil in dieser Form und mit der Entstehungsgeschichte eher ambivalent gegenüber. Die in einem solchen Fall notwendige Abwägung verschiedener Standpunkte und Rechtsauffassungen ist nach meiner Ansicht nicht voll umfassend erfolgt. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass für Juden und Muslime die Beschneidung eine ganz immanente Rolle als Zeichen der religiösen und kulturellen Zugehörigkeit spielt. Das durch die Eltern zu tragende Recht der Personensorge umfasst ja auch religiöse Belange. Zwar stellt die Beschneidung einen irreversiblen Eingriff dar, aber selbst mit dieser Maßnahme ist ja auch eine gute individuelle Entwicklung des Kindes, gegebenenfalls auch außerhalb der von den Eltern vorgegebenen religiösen Ausrichtung, sehr gut möglich. Hinzuzufügen ist des Weiteren, dass viele Männer auch außerhalb von spezifisch religiösen Kontexten und medizinischen Indikationen beschnitten sind.

Welche Konsequenzen wird das Urteil haben? Muss man befürchten, dass jetzt öfter heimlich beschnitten wird, auch durch Nicht-Mediziner?

Einen rechtsfreien oder unklaren rechtlichen Rahmen darf es nicht geben. Hier ist klar der Gesetzgeber gefordert. Eine Kriminalisierung ist sicherlich nicht wünschenswert, hier besteht dann immer die Gefahr von Pfusch und „Hinterzimmermedizin“, welche in der heutigen Zeit nicht toleriert werden dürfen. Darüber hinaus denke ich, dass alle diejenigen, die eine Beschneidung aus religiösen Gründen durchführen lassen möchten, dies auch tun werden, beispielsweise im Ausland. Ich möchte aber, dass alle Menschen, die hier in Deutschland leben, Ihre Religion auch frei und offen leben können.

Wie kompliziert ist der Eingriff eigentlich?

In geübter ärztlicher Hand ist dies ein millionenfach erprobter Routineeingriff, der keine körperlichen Schäden hinterlässt. Noch einmal. Dies unterscheidet die männliche Vorhautbeschneidung in eklatanter Weise von der Genitalverstümmelung der Frau.