Essen. . Essens Religionsvertreter kritisieren das Urteil des Kölner Landgerichts zur Beschneidung von Kindern. Wer die Vorgaben künftig kontrolliert, darauf weiß keiner eine Antwort. Detlev Feige, Sprecher des Justizministeriums, verweist auf die Kommune. Dort, beim Essener Ordnungsamt, ist man sich keiner Verantwortung bewusst, verweist wiederum auf die Ärztekammer.

Das Tor zum Islam ist ganz in Blau gehalten: In der Ecke steht eine Plastikwippe und auf der Garderoben-Ablage liegt die Junior-Ausgabe von Monopoly – Zeitvertreib für den Nachwuchs, der seit gut fünf Jahren jedes Wochenende den Vorraum des Beschneidungszentrums „Cerrah-Med“ an der Altendorfer Straße füllt. Bis zu 15 Jungen werden hier wöchentlich behandelt. Immer am Wochenende oder in Ferien, „damit die Kinder dafür nicht extra in der Schule fehlen“, erklärt Leiter Hulusi Kandemir. Für die Muslime ist die Beschneidung ein Aufnahmeritual, ähnlich der christlichen Taufe. Doch damit ist jetzt erst mal Schluss.

„Es überwiegt das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit“, so urteilte dieser Tage Kölns Landgericht. Das Kind könne, einmal volljährig, selbst entscheiden, ob es die Beschneidung nachhole. „Religionsfreiheit und Erziehungsrecht werden nicht unzumutbar beeinträchtigt“, entschieden die Richter und brachten Klarheit in eine Sache, die bislang als rechtliche Grauzone galt.

„Damit setzt sich das Gericht über traditionelle Werte unserer Religion hinweg“

Essener Vertreter von Judentum und Islam reagieren entsetzt. „Ein Schock“, sei der Richterspruch gewesen, erklärt der Vorsitzende des Essener Verbunds der Immigrantenvereine, Muhammet Balaban. „Damit setzt sich das Gericht über traditionelle Werte unserer Religion hinweg“, beklagt er. Wie viele Essener die Zeremonie der „Zirkumzision“ aus religiösen Gründen jährlich durchlaufen, ist nicht erfasst. Beschneidungen sind nicht meldepflichtig und werden in nicht-medizinischen Fällen, auch nicht von der Krankenkasse übernommen. Da das Kölner Urteil nun aber rechtskräftig ist, bleibt sie für die Muslime unter den rund 4600 jährlichen Essener Neugeburten nun erst mal verboten.

Gleiches gilt für die Juden. Seit etwa 600 vor Christus gilt die Beschneidung im Judentum als Eintritt in den Bund mit Gott. „Auch in unserer Religion wird intern viel diskutiert, aber in einem sind sich alle einig: die Beschneidung ist nicht diskussionsfähig, sie ist Teil unseres Glaubens“, erklärt der Leiter der Alten Synagoge, Uri Kaufmann. Beim Gang durch die Innenstadt fallen ihm immer wieder Kinder und Jugendliche mit Piercings auf, „darüber spricht niemand, aber über ein kleines Stückchen Haut – da fehlt mir der Respekt vor zwei großen Weltreligionen“.

"Ansonsten spiele ich mit meiner Zulassung“

Während sich die Religionen also Sorgen um ihre Tradition machen, hat Hulusi Kandemir vor allem Angst vor seiner beruflichen Zukunft. Zwar arbeitet er während der Woche als normaler Arzt in einem Arnsberger Krankenhaus, das Beschneidungszentrum sei für ihn dennoch wichtig. „Aber jetzt kann ich dem Urteil nur folgen, ansonsten spiele ich mit meiner Zulassung“, erklärt der Türke, der seit 33 Jahren in Deutschland lebt und in Bochum aufgewachsen ist. Den Urteilsspruch an sich kann er nicht nachvollziehen. „Wir arbeiten nach strengsten Hygienevorschriften, die Beschneidung ist Teil unserer Religion, das Verbot ist Schwachsinn.“

Unklar bleibt zudem, wer eigentlich für die Durchsetzung dieses Verbots verantwortlich ist. Detlev Feige, Sprecher des Justizministeriums, verweist auf die Kommune. Dort, beim Essener Ordnungsamt, ist man sich keiner Verantwortung bewusst, verweist wiederum auf die Ärztekammer. Doch auch die kann auf NRZ-Nachfrage keine Zuständigkeit feststellen.

„Die Niederlande sind ja sehr schnell zu erreichen“

Vielleicht hat sich diese Frage auch schon bald erledigt. Dann nämlich, wenn eine mögliche Klage vor dem Bundesgerichtshof, wie sie zurzeit von muslimischen und jüdischen Verbänden geprüft wird, Erfolg hat. Darauf hofft auch Kandemir und will bis dahin nur medizinische Fälle behandeln, auf religiöse Beschneidungen aber, trotz unklarer Kontrollsituation, verzichten.

Was aber passiert, wenn auch das höchste deutsche Gericht dem Urteil zustimmt und Beschneidungen somit verboten bleiben? „Den Brauch wird es weiter geben“, ist sich Uri Kaufmann sicher. Die Lösung für eine legale Durchführung könnte dann in der Ferne liegen. „Wenn es so bleibt, wird es halt Beschneidungstourismus geben“, erklärt Muhammet Balaban. Und Kaufmann ergänzt schmunzelnd: „Die Niederlande sind ja sehr schnell zu erreichen.“ Dort ist, wie in allen übrigen europäischen Ländern, die Beschneidung erlaubt.