Essen. . Hier Alarm, dort Alltag: Bürger in Bergeborbeck laufen Sturm gegen Bordell-Pläne, andere leben jahrelang neben Privatclubs. Laut Polizei meistens problemlos. Im Internet finden sich zahlreiche Adressen etwa von Massageclubs. Offiziell gibt es in Essen lediglich drei Bordelle.
Ein Bordell gleich um die Ecke, Prostituierte in der Nachbarschaft: In Bergeborbeck sind Anwohner alarmiert, seitdem sie von Plänen erfahren haben, dass am Schacht Neu-Cöln drei Zimmer für das Gewerbe entstehen sollen. Rund um das Gebiet liegen ihre Wohnhäuser, leben Kinder. Sie sorgen sich wegen des Autokino-Klientels und einer späteren Ausweitung.
„Wir merken davon nichts“, sagt eine 52-Jährige, die in Nachbarschaft eines Privatclubs lebt. Irgendwo in Borbeck. Einen Scherz habe er mal mit einem Nachbarn gemacht, erinnert sich ihr Mann (56) – mehr nicht. Sie hätten gewusst, dass der Club dort existiert, bevor sie herzogen.
Keine Kriminalität
In den Gärten blühen Rosen und Hortensien, der Rasen hinter den Zäunen ist kurz. Eine Gegend gut bürgerlich bis gehoben, in der auch große, neue Einfamilienhäuser stehen. Eine Mutter (35) schiebt mit Kinderwagen vorbei: „Ich habe keine Bedenken, es fällt nicht auf.“ Und sie komme häufig vorbei.
„Die Nachbarschaft kann funktionieren“, sagt der Betreiber, der den Club seit 15 Jahren führt. Der 55-Jährige will seinen Namen nicht in der Zeitung lesen, „weil ich in der Öffentlichkeit stehe“. Warum es bei ihnen gut laufe: „Bei uns gibt es keinen Alkohol, keine Drogen und keine Zuhälter.“ Damit keine Kriminalität. Drogen beispielsweise ziehen die an, die sie verkaufen. 16 Frauen arbeiten im Haus, nicht aus Vergnügen („Der Job ist nicht cool“) oder weil sie Geld für Kokain brauchen, sondern, weil sie eine Scheidung hinter sich haben und oft einen Haufen Schulden. Sie wollen raus aus Hartz IV, sagt der Chef. Seine Bedingung: Nach fünf Jahren müssen sie aufhören, wegen der Psyche.
Stress gebe es bei ihnen nicht, nicht mit den Nachbarn, nicht mit der Polizei. Dennoch: „Die Sorge der Anwohner in Bergeborbeck verstehe ich voll“, sagt er sofort. Die Befürchtungen seien absolut berechtigt. Voraussetzungen für einen Club in direkter Nachbarschaft seien, dass er seriös und diskret geführt werde. Dass es bei ihnen recht teuer sei (ab 50 Euro) und dass nicht jeder reinkommt („Die Frauen entscheiden selbst“), schon gar nicht angetrunken, das habe sich herumgesprochen. Daher klingele ein bestimmtes Klientel gar nicht erst.
Privatclubs sind keine Ausnahme
Privatclubs sind im Stadtgebiet keine Ausnahme. Im Internet finden sich zahlreiche Adressen etwa von Massageclubs („gegen Aufpreis gibt es mehr“, erklärt eine Mitarbeiterin). In manchen Wohnungen und Häusern arbeiten sie seit Jahren, Tür an Tür mit Familien samt Kindern. Sie kennen sich, reden kurz im Hausflur, sagt eine der Frauen. Nein, mit den Fingern habe noch keiner auf sie gezeigt. So lange es nicht laut werde, störe das - zumindest bei ihnen - niemanden.
Angemeldet werden muss das Gewerbe schon. Und soll aus einer Wohnung oder Anwaltskanzelei ein Bordell werden, müsse ein Antrag auf Nutzungsänderung gestellt werden, sagt Stadt-Sprecherin Jeanette Kern. Geprüft werde unter anderem nach Arbeitsschutzregeln etwa Raumtemperatur und Fluchtwege. In reinen oder allgemeinen Wohngebieten wird aber kein Bordell zugelassen. Und wenn hinter einem Massagesalon ein Bordell steckt („Die Nachbarn wissen, was wir hinter der Tür machen“, meint eine Club-Mitarbeiterin)? Kern: „Bekommt die Stadt einen Hinweis, dann müssen wir prüfen, ob es genehmigt oder untersagt wird.“
Offiziell gibt es in Essen lediglich drei Bordelle, obwohl sie nach geltendem Recht als solches angemeldet werden könnten und sich grundsätzlich keine anderen steuerlichen Beurteilungen ergeben. Kern: „Es gibt aber Städte, die es als sozial unwertige Tätigkeit ablehnen.“ Über Gründe für die Tarnung könne die Stadt nur spekulieren: Vielleicht Erfahrungen aus anderen Kommunen und ein moralisch positiverer Anstrich.
"Jugendgefährdende Prostitution"
Sogar Essens größter Betrieb an der Stahlstraße ist als „gewerbliche Zimmervermietung“ gemeldet. Dorthin werde die Polizei ab und zu gerufen. Laut Polizei-Sprecherin Tanja Hagelüken könne das an der Laufkundschaft oder auch am Alkoholkonsum liegen. Aus ihrer Sicht ist die Lage sonst unauffällig: „Es gibt keine Privatclubs, zu denen wir regelmäßig gerufen werden“. Vereinzelt kämen Anzeigen von Anwohnern, die sich aufregen.
Strafrechtlich verfolgt werde jedoch dann, wenn zum Beispiel eine Prostituierte ihren Gast halbnackt im Flur empfängt, durch den Kinder gehen („jugendgefährdende Prostitution“). Hagelüken: „Meistens seien die Damen einsichtig oder gar betroffen, nicht nachgedacht zu haben“ – und nehmen Rücksicht auf die Nachbarschaft.