Essen. Im Seminar „muTiger“ sollen couragierte Bürger lernen, wie sie sich in aggressionsgeladenen Situationen richtig verhalten. Opferschutz, Eigenschutz, Notruf und Deeskalation lauten die Grundregeln.
Vier Jugendliche in der S-Bahn pöbeln einen Teenager an, beschmeißen ihn mit Essensresten, drängen ihn beim nächsten Halt auf den Bahnsteig und treten ihn brutal zusammen. Der Gewaltausbruch wird von einem der Täter gefilmt und steht bereits Minuten später im Internet.
Als die letzten Szenen dieses gestellten Überfalls, der so oder ähnlich immer wieder passiert, über den Bildschirm flimmern, herrscht im ersten Moment Beklemmung und Ratlosigkeit unter den Zuschauern. „Das ist der Grund, warum ich heute hier bin“, bricht Claudia das Schweigen, „ich möchte gerne lernen, wie ich mich in einer solchen Situation verhalten soll - ob als Opfer oder als Zeugin.“ Die Essenerin nimmt wie zehn andere Bürger am Seminar „Mehr Zivilcourage im Alltag“ teil, das die von der Sicherheitsfirma Kötter und dem Verkehrsverbund Rhein Ruhr gegründete Stiftung „muTiger“ erstmals in Essen veranstaltet.
Nicht impulsiv reagieren
„Eigenschutz, Opferschutz, Notruf, Deeskalation,“ zählt Seminarleiter Christopher Leenders die vier Verhaltensgrundregeln auf. Als Zeuge einer Gewalttat oder Provokation sei es wichtig, so Leenders, die Situation schnell zu analysieren und nicht impulsiv, sondern gezielt zu reagieren. So solle man sich dem Opfer zuwenden, statt den Tätern. „Tun Sie so, als wenn sie das Opfer kennen, setzen Sie sich zu ihm.“ Oft würde das bereits den Aggressoren den Wind aus den Segeln nehmen. Eine weitere Möglichkeit, die Situation zu entschärfen, sei das Miteinbeziehen anderer, stummer Beobachter. „Manche Menschen brauchen nur einen Anstoß, um sich aus der Erstarrung zu lösen. Seien Sie diejenigen, die das in die Hand nehmen.“
Es wird rege diskutiert in den Räumen der Kötter Akademie am Zehnthof, wo das vierstündige Seminar stattfindet. Über Zeugenschutz, Präsenz von Sicherheitspersonal, Strafverfolgung und Rechtsgrundlagen, aber auch über Ängste und Ohnmacht.
Keine Ideallösung
Thomas hört gut zu. Der 48-jährige Essener kennt beide Seiten - die des Opfers und des Zeugen. Vor 15 Jahren wurde er von Jugendlichen zusammengeschlagen, saß sechs Monate im Rollstuhl. „Das ist aber nicht der Grund, warum ich hier bin“, sagt der Lokalpolitiker. Schon oft habe er in Bus oder Bahn gewaltgeladene Szenen erlebt, die ihn hilflos zurück ließen. „Ich möchte mit guten Beispiel vorangehen und hier lernen, wie ich kritische Situationen beruhigen kann.“
Natürlich gibt es keine Ideallösung. Zu unterschiedlich sind die Konstellationen, wie die elf couragierten Bürger im späteren Rollenspiel feststellen. „Vertrauen Sie auf ihr ausgeprägtes Gefühl für Recht und Unrecht, benutzen Sie Ihren gesunden Menschenverstand,“, fordert Leenders die Gruppe am Ende des Kurses auf. „Ich hoffe, dass ich mit diesen ersten Erfahrungen eine kritische Lage besser händeln kann“, sagt Claudia. Für die Essenerin waren die vier Stunden nur ein Einstieg: „Das Seminar sollte unbedingt weitergeführt werden. Ich bin auf jeden Fall dabei.“