Essen. Bevor demnächst der Abrissbagger kommt, sollte man daran erinnern: Das Parkhaus Pferdemarkt galt mit seiner schwungvollen Linie einst als schönstes Parkhaus der Stadt. Wenn die Stadt ihr Eigentum nicht derart vernachlässigt hätte, könnte sie sich heute eines Verkehrsdenkmals ersten Ranges rühmen.

Versifft, verrottet, heruntergekommen: Das Parkhaus Pferdemarkt gilt völlig zu Recht als Schandfleck der Innenstadt. Dabei ist genauso richtig: Wenn die Stadt ihr Eigentum an der Rottstraße 19 nicht derart zugestellt und vernachlässigt hätte, könnte sie sich vielleicht heute eines Verkehrsdenkmals ersten Ranges rühmen. Das Parkhaus steht mit seiner schwungvollen, gleichwohl klaren Architektur beispielhaft für die Ästhetik und Motorisierung der frühen 1960er Jahre in Essen.

Dabei gehören Parkhäuser „zu den profansten Orten einer Stadt“, findet der Frankfurter Wissenschaftler Professor Jürgen Hasse und hat seine Kulturgeschichte der Großgaragen nicht umsonst mit dem Titel „Übersehene Räume“ überschrieben: „Man benutzt sie nie ihrer selbst wegen. Sie sind Mittel zum Zweck. Wer in ein Parkhaus fährt, will in die Stadt, nicht ins Parkhaus.“

Diese Betonung des Funktionalen war nicht immer üblich. Wo man die Antwort auf Stellplatzfragen heute gern in Tiefgaragen versteckt, wurde sie zur beginnenden Motorisierung vor 100 Jahren noch atemberaubend inszeniert. „Sie repräsentierten eine technische, kulturelle und architektonische Neuerung im Städtebau und standen deshalb symbolisch für einen epochalen Fortschritt im modernen Leben“, erklärt Hasse.

Das Projekt hielt man anfangs für einen Klacks

Als Essen sich in den 1950er-Jahren dem Thema „Parkhaus“ zuwandte, spielte Modernität auch eine Rolle, allerdings weitaus weniger euphorisch unter dem Namen „Verkehrsplanung“ – und die war gesteuert vom Gedanken der „autogerechten Stadt“. Individualverkehr stand für nichts weniger als Freiheit und Wohlstand. Breite Straßenschneisen wurden durch die kriegszertrümmerte Stadt geschlagen, und Parkraum zu schaffen gehörte zur Daseinsvorsorge des Autobürgers, um die sich die Stadt zu kümmern hatte. Allein bis 1966 wurden in der Innenstadt 5.442 Parkplätze neu ausgewiesen.

Das Projekt „Parkhaus Pferdemarkt“ hielt man anfangs für einen Klacks. Beim ersten Parkhaus Essens, dem Parkhaus an der Akazienallee/Teichstraße, standen die Investoren Schlange. Den Zuschlag erhielt Ende 1953 die Aral, die für das Grundstück 330.000 Mark hinblätterte und das Gebäude auf eigene Rechnung hochzog. Fünf Jahre später baute BP am Porscheplatz und überwies nur noch 30.000 Mark für das Grundstück. Als 1959 die Unterschrift unter dem Vertrag für das dritte Parkhaus, gelegen an der Kirchstraße 35, trocknete, war gar nur noch von einem Anerkennungspreis von 100 Mark fürs Grundstück die Rede. Mehr noch: Die Stadt musste sogar einen Zuschuss von knapp 300.000 Mark zahlen.

Das Kreuzeskirchviertel

Brigitte Schild betreibt ein gehobenes Tabak- und Pfeifen-Fachgeschäft an der Kastanienallee - eine Ausnahme im sonst vom Leerstand gepärgten Kreuzeskirchviertel. Foto: Ulrich von Born
Brigitte Schild betreibt ein gehobenes Tabak- und Pfeifen-Fachgeschäft an der Kastanienallee - eine Ausnahme im sonst vom Leerstand gepärgten Kreuzeskirchviertel. Foto: Ulrich von Born © WAZ FotoPool
Wird die Nordstadt wohl vorerst weiter verunzieren - das Parkhaus an der Rottstraße. Foto: Ulrich von Born
Wird die Nordstadt wohl vorerst weiter verunzieren - das Parkhaus an der Rottstraße. Foto: Ulrich von Born © WAZ FotoPool
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel.
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel. © WAZ FotoPool
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel.
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel. © WAZ FotoPool
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel.
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel. © WAZ FotoPool
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel.
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel. © WAZ FotoPool
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel.
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel. © WAZ FotoPool
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel.
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel. © WAZ FotoPool
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel.
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel. © WAZ FotoPool
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel.
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel. © WAZ FotoPool
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel.
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel. © WAZ FotoPool
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel.
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Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel.
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel. © WAZ FotoPool
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel.
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel. © WAZ FotoPool
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel.
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel. © WAZ FotoPool
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel.
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel. © WAZ FotoPool
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel.
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel. © WAZ FotoPool
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel.
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel. © WAZ FotoPool
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel.
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel. © WAZ FotoPool
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel.
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel. © WAZ FotoPool
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel.
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel. © WAZ FotoPool
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel.
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel. © WAZ FotoPool
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel.
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel. © WAZ FotoPool
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel.
Rundgang durch das Kreuzeskirchviertel. © WAZ FotoPool
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Verhandlungen mit Investoren verliefen zäh 

Diese Praxis, bei der die Grundstücke sogar nicht wie sonst üblich auf dem Wege des Erbbaurechts verkauft wurden, setzte sich bei den anderen Parkhäusern in der Innenstadt fort. An der Rottstraße funktionierte auch das nicht mehr. Die Verhandlungen mit potenziellen Investoren verliefen zäh. Von der Purfina über die Total bis hin zur Treibstoffgesellschaft Rheinpreussen – ein Interessent nach dem anderen sprang ab. „Letztendlich scheiterten alle Verhandlungen an Finanzierungs- und Rentabilitätsfragen“, heißt es in einem internen Schriftstück. Die Stadt konnte und wollte auch keine Ausfallbürgschaften übernehmen. 1959 wurde deshalb beschlossen, das Parkhaus „trotz zahlreicher Bedenken“ selbst zu errichten. Kostenpunkt: 3.560.000 Mark.

Als Architekt wurde Friedrich Lange verpflichtet. In Essen wirkten zur gleichen Zeit zwei Architekten mit diesem Namen. Der eine – Karl Friedrich Lange – war auf Kirchenbauten spezialisiert. Er entwarf unter anderem das evangelische Gemeindezentrum am Erlenkampsweg in Stoppenberg und das heutige Familienzentrum „Vogelnest“ am Altenessener Palmbuschweg 156.

In den 50ern und 60ern sollte schnell und billig gebaut werden

Seine Witwe Helga Lange erinnert sich noch an die Bedingungen für die Architekten Ende der 1950er-Jahre bis in die 1960er-Jahre hinein. „Billig, billig“, hieß die Devise beim Wohnungsbau nach dem Bombenkrieg. „Die Bevölkerung brauchte Wohnungen.“ Wie groß die Not war, dürfte sich daran ablesen, dass noch 1960 in Essen rund 1000 Familien in einsturzgefährdeten Ruinen lebten.

Schnell sollte es gehen und der massive Einsatz von Stahlbeton machte es möglich. Das Material beschleunigte zum einen den Bau von Gebäuden – aber auch, wie heute sichtbar wird, ihren Verfall. Es fehlte an Erfahrungswerten, wie sich Witterungseinflüsse langfristig auswirken. Doch davon unabhängig ermöglichte das Material bis dato undenkbare Gebäudekonstruktionen. Befreit von althergebrachter Stein-auf-Stein-Statik entstanden Raumkörper, deren Kühnheit Architekten durch sachliche Strenge ausbalancierten.

Le Corbusier prägte auch das Parkhaus am Pferdemarkt

„Wir waren alle Kinder von Le Corbusier“, sagt Helga Lange. Der höchst einflussreiche schweizerisch-französische Architekt prägte technisch wie ideell auch das Parkhaus am Pferdemarkt. Auf ihn geht die strikte Trennung von tragenden und nicht-tragenden Elementen zurück, was der Architektur eine Leichtigkeit verleiht. Auf Außenmauern kann verzichtet werden; das Gebäude ruht auf zurückgesetzten Pfeilern – was immens breite Öffnungen in der Fassade erlaubt. An der Rottstraße wechseln sich bis hinauf zum fünften Parkdeck mit kleinen Klinkern belegte, sanft im Licht schimmernde Betonstreifen ab mit gleichhohen dunklen Öffnungen.

Die Parkdecks scheinen übereinander zu schweben. Mit der radikalstmöglichen Gliederung der Fassade in die Horizontale hinein verbeugt sich der Entwurf auch gegenüber einem weiteren prägenden Architekten, dem zu jener Zeit alle Architekten nacheiferten: Egon Eiermann, der mit dem Ruhrkohlehaus II (erbaut von 1956 bis 1960), dem heutigen Sitz der Steag an der Rüttenscheider Straße, für eines der schönsten Bürogebäude der Stadt verantwortlich zeichnete.

"Kein großer Architekt"

Aber wer war nun jener in den Bauplänen genannte Architekt, der in seinem vorgelegten Entwurf eines Parkhauses schwungvoll die großen Strömungen der Nachkriegsmoderne verband? Helga Lange, Witwe des Kirchenbauers Lange, erinnert sich noch an den Kollegen ihres Mannes, den anderen Friedrich Lange.

Man kannte sich flüchtig, „ein schlanker, großer Mann, sehr erfolgreich, aber kein herausragender Architekt!“ In seinem alten Büro an der Herwarthstraße trifft man noch eine einstige Geschäftspartnerin. Friedrich Lange, sagt sie, „hat die Aufträge besorgt“ – redegewandt, charmant und mit guten Kontakten. Ob es berühmte Bauwerke von ihm gibt? Da lacht sie kurz auf.

"Parkhäuser sind Stiefkinder der Architektur" 

„Architekten sehen in Parkhäusern keine primären Objekte der Repräsentation. Parkhäuser sind Stiefkinder der Architektur. Sie nehmen in einer sehr breiten Typologie von Bauwerken hierarchisch einen letzten Platz ein“, stellt Jürgen Hasse fest. In der Tat dürfte Friedrich Lange „sein“ Parkhaus an der Rottstraße nicht als architektonische Herausforderung, sondern ausschließlich als Geschäft gesehen haben.

Für die tatsächliche Planung waren aber seine bis zu 30 Mitarbeiter zuständig, unter ihnen offenbar hoch talentierte Leute, die die architektonischen Gestaltungsprinzipien des zukünftigen Pächters Esso, neudeutsch: dessen „Corporate Design“, kongenial zu einer selbstständigen Arbeit und dem schönsten Parkhaus der Stadt weiterentwickelten. Friedrich Lange selbst jedenfalls war pragmatisch und flexibel. Ein früherer Entwurf seines Büros zeigt eine geschlossene Fassade unter dem Schriftzug „Total“.

Die alten Akten zum Bau sind aufschlussreich

Wer in alten Akten zum Bau blättert, kann mutmaßen, wie Lange zu dem Auftrag kam. Offenbar hatte er sich zunächst als Vertreter einer eigens gegründeten Investorengruppe platziert. Diese „City Parkhaus GmbH“ zog sich alsbald aus der Finanzierung zurück, nicht ohne allerdings mit den in der Zwischenzeit entwickelten Plänen zu winken. Und schon war Lange als Architekt und Bauleiter nicht mehr von der Baustelle zu vertreiben.

In einem internen Schreiben antwortet die Stadtverwaltung auf eine Generalabrechnung seitens des Rechnungsprüfungsamtes über das ganze Verfahren „Parkhaus Pferdemarkt“: „Eine Ausschreibung hätte den gleichen Interessentenkreis zugeführt, mit dem ohnehin Verhandlungen geführt wurden.“

Parkhaus war für die Stadt ein Zuschussgeschäft

Für die Stadt sollte das Parkhaus ein Zuschussgeschäft werden. Eine Bilanz von 1966 weist Einnahmen in Höhe von 123.651,37 Mark aus. Dem stehen Ausgaben von 125.780,36Mark gegenüber. Ein Beamter rechnete in einem Schreiben vor, dass selbst wenn die Parkgebühr verdoppelt werden würde, das Parkhaus unterm Strich weiterhin in den roten Zahlen stecken bleibt.

Zu einem echten Problem sollten sich auch die Baulasten entwickeln. Als Wertheim im Jahre 1964 am Kennedyplatz ein Kaufhaus errichtete, überwies das Unternehmen dem Stadtsäckel drei Millionen Mark zur Schaffung von Parkflächen in der Innenstadt. Eigentlich sollte davon an der Gildehofstraße 13 ein Parkhaus errichtet werden.

Baulasten als großes Problem

Doch dazu kam es nicht, die Fläche steht bis heute leer. Um den vertraglichen Verpflichtungen für Wertheim dennoch nachzukommen, wurden die erforderlichen 279 Stellplätze einfach als entsprechende Baulast im stadteigenen Parkhaus Pferdemarkt eingetragen.

Damit war der Damm gebrochen. Die neuen Parkdecks an der Rottstraße kompensierten fortan den Bauboom in der Innenstadt. Im Jahre 1967 waren schon 443 der insgesamt 618 verfügbaren Stellplätze „abgelöst“.

Parkhaus steht schon länger leer

Die Nutzungsrechte der von der Baulast Begünstigten verschlechterten nicht nur weiter die Rentabilität, sondern schränkten auch die Möglichkeit ein, das Bauwerk zu entwickeln. Notwendige Investitionen blieben aus. Im Jahre 2010 standen 536 Stellplätze als Baulast in den Büchern. Es war ein Kraftakt, diese Anzahl auf 137 zu drücken.

Jürgen Hasse bemerkt: „Unter den Zweckbauten nehmen Parkhäuser eine Sonderstellung ein. Im Unterschied zu Oper, Museum und Rathaus entzünden Parkhäuser nur in seltenen Ausnahmefällen (kultur-)politische Debatten.“

Abriss wohl ohne viel Aufhebens

Der Abriss des Parkhauses an der Rottstraße wird voraussichtlich ohne viel Aufhebens verlaufen, genauso wie die Einweihung des Baus im Jahre 1963. Kaum denkbar, dass ein Sturm der Entrüstung losbricht und sich Menschen an das Bauwerk ketten. „Eigentlich gehört das Parkhaus unter Denkmalschutz“, sagen Beteiligte hinter vorgehaltener Hand zur architektonischen und verkehrsgeschichtlichen Bedeutung des maroden Bauwerks. Doch dafür ist es Jahrzehnte zu spät.