Essen. . Vor 20 Jahren begann der Aufstieg der Stadt Essen in schwindelerregende Kredithöhen, ab 2013 plant Kämmerer Klieve den behutsamen Abstieg in die politische Überlebenszone. Dabei soll vor allem der NRW-Stärkungspakt helfen - allein für dieses Jahr rechnet man mit 23 Millionen Euro.
Sie haben sich in all den Jahren an die Höhe gewöhnt. Daran, dass die Luft dort oben deutlich dünner ist, dass man sich einschränken muss, die Bewegungen langsamer ausfallen, keine Puste für Eskapaden bleibt. Es gibt nicht viele Städte in der Republik, die es so auf die Spitze getrieben haben wie Essen, aber das ist „nichts, worauf man stolz sein könnte“, seufzt Kämmerer Lars-Martin Klieve, denn wir reden hier vom Gipfel – des städtischen Schuldenbergs.
Ende März 2012 war er exakt 3.192.417.946 Euro und 27 Cent hoch, Tendenz weiter steigend. Aber, und das ist das Signal des städtischen Finanzchefs an alle, die unterwegs schon haben aufgeben wollen: Der rechnerische Gipfel scheint in Sicht. Ende diesen, Anfang nächsten Jahres soll er mit rund 3,3 Milliarden Euro erreicht sein, und von da an geht’s mit den Schulden bergab, wenn auch zunächst „in homöopathischen Dosen“, wie Klieve einräumt: 2013 um 4, im Jahr drauf um 28 und 2015 erneut um 39 Millionen Euro.
100.000 Euro Zinsen täglich
Es ist das Symbol, das zählt: Ja, wir haben eine Chance. Deutlich beschleunigt werden die Schritte runter vom Schuldenberg, wenn Essen – wie in Klieves Finanzteam erwartet – vom NRW-Stärkungspakt profitiert. Dann flössen, so hat man es im Rathaus errechnet, fast 23 Millionen Euro noch in diesem Jahr, gut 40 im nächsten und nicht weniger als 108 Millionen in den Jahren 2014 und folgende. „Das sind dann Größenordnungen, die sich auch an den Zinsen bemerkbar machen.“
Denn nicht, Schulden zu haben, sondern sie im Falle steigender Zinsen bedienen zu können – das ist das Problem der Essener Stadtfinanzen, weshalb Klieve das Sinnbild vom Berg gern mit dem der Bombe tauscht: „Und nirgends“, so warnt er, „tickt diese Zeitbombe so laut wie in Essen“. Denn „nur“ 960 Millionen Euro, also nicht mal ein Drittel des Essener Schuldenbergs, wurde mit Krediten für Investitionen angehäuft. Die restlichen mehr als 2,3 Milliarden Euro – das ist bundesweiter Rekord – laufen als so genannte Liquiditäts-Kredite, die sich noch am ehesten mit einem privaten Überziehungskredit („Dispo“) vergleichen lassen.
Der Zinsaufwand für diese Kredite liegt bei einem Durchschnittszinssatz von 1,35 Prozent mit rund 37 Millionen Euro (also täglich 100.000 Euro...) zwar historisch niedrig. Doch noch vor fünf Jahren rangierte er mit 3,8 Prozent fast drei Mal so hoch. „Sollten die Zinsen nennenswert steigen, müssten wir dagegen ansparen“, so Klieve. Ein wenig Entschärfung bringt derzeit die Erlaubnis des Landes, auch die günstigen kurzfristigen „Dispo“-Kredite mit längeren Zinsvereinbarungen abzusichern. Rund 400 Millionen Euro sind so schon über Dezember 2015 hinaus „abgesichert“. Und dennoch: Die sicherste Variante kann nur bedeuten, so früh wie möglich so viele Schulden wie möglich zu tilgen. Das dauert.
Und deshalb ist auch Klieves Vorgehen nicht ohne Risiko, schließlich gilt es auszutarieren, womit die Stadt besser fährt: Sich jetzt mit kleinen Aufpreisen längere Zinsbindung zu sichern oder auf ein weiter niedriges Niveau zu setzen und zu tilgen, wo’s nur geht. Klieve setzt darauf, variabel zu bleiben, mehr zu tilgen als ängstlich darauf zu achten, dass in seiner Amtszeit nichts mehr passieren kann. „In der Summe lagen wir immer richtig“, sagt er, wohl wissend, dass die Stadt angesichts ihrer Finanzmisere keineswegs über den Berg ist: „Alle freuen sich, wenn’s gut geht. In dem Moment, wo’s schief läuft, sind sie der letzte Idiot.“ So gesehen gedenkt der Kämmerer von erfahrenen Bergsteiger zu lernen, denn die wissen: Die meisten Unfälle gibt’s beim Abstieg.
Die Delle, die keine war
Eine „teuer erkaufte Atempause“ nannte es sein Vorgänger Horst Zierold, Kämmerer Lars Klieve spricht vom wohl „schlechtesten Geschäft aller Zeiten“: Um auf den ersten Blick im Etat die Kassenkredite auf Null zu bringen, wurden vor der Kommunalwahl 1999 Teile des Allbau und das Kanalnetz an städtische Töchter verkauft – und so billige Kommunalkredite gegen teure Gesellschaftsdarlehen eingetauscht. „Daran knabbern wir noch heute.“
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