Essen. Geht es um das Thema Einäscherungen, dann kommen oft Gruselgeschichten auf den Tisch. Um diesen vorzubeugen und den eigenen Betrieb etwas anzukurbeln, bietet seit April die Stadt Essen regelmäßig Führungen durch das Krematorium am Hellweg an. Der erste Eindruck: Es riecht zwar „leise“, aber deutlich wahrnehmbar, leicht süßlich, unangenehm und unvergesslich.
Das Reden über Sterben und Bestatten ist weder einfach noch alltäglich. Entsprechend beklommen nähert man sich dem Essener Krematorium am Hellweg in Freisenbruch, um an einer der erstmals angebotenen Führungen teilzunehmen. Was auf den ersten Blick pietätlos erscheinen mag, scheint nötig zu sein: Aufklärung zu liefern.
Denn wenn es um Einäscherungen geht, seien sehr viele Gerüchte und Legenden in Umlauf, berichtet Sigrid Wietek, Fachfrau für Bestattungs- und Friedhofsfragen bei Grün und Gruga. Mehrere Verstorbene kämen gleichzeitig in einen Ofen und ein „Aschemix“ in die Urne, lautet etwa eine der Gruselgeschichten. Um diese und andere zu entkräften, aber auch um Betroffene und Angehörige früh genug zu sensibilisieren, bietet Sigrid Wietek gemeinsam mit Krematoriumsleiter Reinhold Velten fortan regelmäßige Führungen an. Spärliche drei Teilnehmer und der Reporter machen klar, dass das so schnell keine Massenveranstaltungen werden.
Geruch entsteht nur im Aufbahrungsbereich
Der erste Eindruck: Es riecht zwar „leise“, aber deutlich wahrnehmbar, leicht süßlich, unangenehm und unvergesslich. „Wir befinden uns hier am einzigen Ort im und rund um das Krematorium, an dem Geruch wahrnehmbar ist“, erläutert Reinhold Velten in der Aufbahrungshalle. Dass es in einem Krematorium verbrannt rieche, schickt Velten gleich ins Reich der Legenden.
Kälte schlägt uns aus dem Komplex mehrerer Räume entgegen, die den Aufbahrungsbereich der Anlage bilden. Ordentlich übereinander gestapelt oder nebeneinander aufgereiht, stehen hier knapp zwei Dutzend Särge wartend auf den den letzten Gang. Die Temperatur liegt zwischen vier und sieben Grad. „Es kommt täglich der Gerichtsmediziner, führt die zweite Leichenschau durch“, berichtet Velten. Schließlich müsse alles seine amtliche Richtigkeit haben. Lägen alle Papiere vor, könne man in zwei bis drei Tagen einäschern lassen. Länger als acht Tage liege hier normalerweise niemand, es sei denn, es handelt sich um Tote ohne Nachlass oder erreichbare Anverwandte. In diesen Fällen muss das Ordnungsamt bezahlen, dann wird es komplizierter.
Sarg entzündet sich selbst
Die Besucher sind mittlerweile zum „Allerheiligsten“ vorgestoßen: den Öfen, Gegenstand so vieler Mutmaßungen. Doch Mystik strahlen die drei, in den Boden eingelassenen, Einfahrschienen mit den chromblitzenden Ofenklappen am Ende nicht aus. Kühle Sachlichkeit, wer hätte es anders erwartet, dominiert. „Wir schaffen maximal rund 24 Einäscherungen am Tag. Die Öfen arbeiten mit Temperaturen ab 750 Grad“, sagt Velten und deutet auf die Klappen, hinter denen die drei Öfen aufgebaut sind, die sich über drei Etagen erstrecken.
Mit dem „James Bond“-Mythos räumt er auf: Der Agent war seinerzeit in so einem Ofen geschoben worden und natürlich entkommen – obwohl schon die Flämmchen aus den Brennern züngelten. „Der Sarg fährt nicht ins offene Feuer. In der Regel entzündet er sich bei den hohen Temperaturen selbst“, erklärt der Friedhofschef. Zugeführt wird Sauerstoff, trotzdem dauert die Hauptverbrennung mindestens eine Stunde. Ist die Verbrennung in der oberen Kammer abgeschlossen, so wird die Platte mit der Asche gewendet und die Nachverbrennung setzt in der unteren Ofenkammer ein. „Erst dann kann man den nächsten Sarg in die obere Ebene einführen.“ Velten entkräftet die Sage, wonach parallel mehrere Tote in einem Ofen verbrannt würden: „Die beiden Abschnitte sind absolut getrennt.“
Verwechslung ausgeschlossen
Sehr aufmerksam beobachten Veltens Mitarbeiter auch den zweiten Verbrennungsvorgang. Erst wenn dieser völlig abgeschlossen ist, ziehen sie einen Hebel und Asche- und Knochenreste fallen in eine kleine Lore. Nun müsse man noch „fremdes“ Material entfernen, künstliche Hüftgelenke, Metall, Porzellan und natürlich Zahngold. „Dies wird von einer Spezialfirma entsorgt“, so Velten. Und die Werte? Die Erlöse, etwa aus dem Verkauf des restlichen Goldes, behalte der Krematoriumsbetreiber – also die Stadt. So will es die Betriebsordnung.
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Das gefällt nicht allen Besuchern der ersten Führung. Wohl aber, dass wirklich nur die biologischen Reste des Verstorbenen im weiteren Verlauf in der Knochenmühle ganz klein gemahlen und in die schwarze Urnenkapsel gefüllt werden, die in etwa so groß ist wie eine handliche Vase. Mit einer Nummer kennzeichnen die Betreiber einen zerfallsbeständigen Schamottstein, der zu der weißgrauen Asche in die Urne gelegt wird. Die gleiche Nummer, zusammen mit Namen und Geburts- und Sterbedatum, findet sich eingestanzt auf dem Metalldeckel der Urnenkapsel.
„Eine Verwechslung ist absolut ausgeschlossen“, unterstreicht der Leiter des Krematoriums. Aufgeräumt mit einer Menge Gerüchte hat er an diesem Tag. Und darum ging es auch einer der drei Besucherinnen, der Religionslehrerin Estelle Schulz: „Im Unterricht ist der Tod ein großes Thema. Um darüber zu reden, muss man sich das auch einmal selbst angeschaut haben.“ Damit Gruselgeschichten gar nicht erst aufkommen.