Essen. . Eine Diskussion, die in Essen niemand führen möchte: Sollen Museen Bilder veräußern, um städtische Haushaltslöcher zu stopfen? „Niemand verkauft. Niemand gibt die Brennstäbe weg, mit denen er ein Kraftwerk betreiben möchte“, sagt Hartwig Fischer, Leiter des Museum Folkwang. Und irrt.
Nein, man wird nicht einfach mal fragen dürfen. Und dass der Museums-Chef nicht sofort den Hörer aufknallt, ist alles. Der sich stets galant bis weltmännisch gebende Hartwig Fischer, noch bis Ende April Herr im Museum Folkwang, kann sehr ungehalten werden. Etwa, wenn er mit der Frage konfrontiert wird, ob er sich nicht vorstellen könne, einen der Monets, Cézannes oder van Goghs zu verkaufen. Zum Beispiel, um den mit Schieflage segelnden städtischen Haushalt zu entlasten; oder um etwas zur Finanzierung des laufenden Betriebs seines Hauses beizutragen, den sich Essen nur dank Grausamkeiten in anderen kulturellen Bereichen leisten kann. Erst kürzlich sind wieder Personalstellen aus der Stadtbibliothek und der Volkshochschule ins Schatzkästchen an der Bismarckstraße gewandert. Ist die Frage wirklich so „lächerlich“, wie sie Hartwig Fischer abtut?
Ist sie nicht, auch wenn Museumschefs und die überregionale Feuilleton-Elite in Deutschland die immer wieder aufflammende Debatte um den Verkauf von Museumsbildern verhandelt, als ginge es um eine öffentliche Hinrichtung von Grundschulkindern. So geschehen in Krefeld, als dort in Erwägung gezogen wurde, einen Monet („Das Parlamentsgebäude in London“) zu verkaufen. Mit den erwarteten Einnahmen von 20 Millionen Euro wollte man die Sanierung des maroden Kaiser-Wilhelm-Museums stemmen. Auch in Hamburg, Hagen, Wuppertal und anderen Städten wurden ähnliche Debatten geführt. Essen scheint diesen Streit noch nicht einmal vor sich zu haben. „Niemand verkauft. Niemand gibt die Brennstäbe weg, mit denen er ein Kraftwerk betreiben möchte“, sagt Hartwig Fischer. Und irrt.
"Ich würde jeden zur Steinigung freigeben"
Im Jahr 2001 verkaufte das Kunstmuseum Bonn einen Baselitz, um nach einem Ausstellungsmisserfolg sein Defizit zu verringern. „Für die Sammlung ist der Verkauf verschmerzbar“, sagte damals der Direktor des Hauses. Und die Bremer Weserburg trennte sich 2010 von Gerhard Richters „Matrosen“, um so ihr eigenes Haus sanieren zu können. Die Liste ließe sich fortführen, die Reaktionen waren immer die gleichen: „Tabubruch!“, riefen die einen, „Skandal“ die anderen.
„Funktioniert gar nicht“, sagt hingegen die Essener Kulturpolitik. Punkt. Keine Diskussion. Die CDU ruft nicht zurück, die Grünen sagen nichts und das Büro des Oberbürgermeisters schickt statt einer Stellungnahme einen schriftlichen Hinweis, dass die Sammlung des Museum Folkwang seit 1922 zu gleichen Teilen der Stadt Essen und dem Folkwang-Museumsverein gehört. Stimmt. In einem gemeinsamen Vertrag sei zudem das Ziel festgeschrieben worden, „das von Dr. Karl Ernst Osthaus in Hagen gegründete Folkwang-Museum zu verwalten, auszubauen und als öffentliche Sammlung den Zwecken der Forschung und Volksbildung dauernd nutzbar zu machen“. Vom Verkauf steht da nichts. Die Stadt habe also nicht die Möglichkeit, die Werke des Museums zu verkaufen. Selbst wenn sie wollte.
Entsprechend entspannt reagiert der für sein Temperament bekannte Maler und Musen-Experte der SPD, Hanns-Jürgen Spieß auf die NRZ-Anfrage über eine mögliche Veräußerung von öffentlichen Museumsgütern. „Nix da“, sagt Spieß. Und ergänzt: „Ich würde jeden zur Steinigung freigeben, der ein Bild aus dem Museum Folkwang verkaufen möchte.“
Versicherungswert von 245.321.666,62 Euro
Vor fünf Jahren hätte er dazu beinahe die Gelegenheit gehabt. Damals, so gibt man in der Verwaltung hinter meterdicken Ausstellungskatalogen aus dem „Schönsten Museum der Welt“ zu, hätte es tatsächlich eine Anweisung gegeben, die Möglichkeit eines Bilderverkaufs zu prüfen. Die Idee sei aber schnell wieder in der Giftschublade verschwunden. Der Zeitpunkt dieses Vorstoßes dürfte nicht zufällig gewesen sein. Im Jahr zuvor waren unter dem Kämmerer Marius Nieland alle Werte der Stadt bilanziert worden. Wirklich alle: Straßen, Häuser, Brücken und die Werke, die im Museum Folkwang schlummern. Der Versicherungswert der Werke steht mit exakt 245.321.666,62 Euro in den Büchern der Stadt. Natürlich ist dieser Wert geschätzt. Tatsächlich dürfte er höher sein.
Essens neues Folkwang
Diese 245 Millionen lösen bei Lars Martin Klieve, dem heutigen Kämmerer, keinen Silberblick aus. Gegenüber der NRZ versichert er, bei seinen Bemühungen um eine Haushaltskonsolidierung niemals auch nur einen Gedanken daran verschwendet zu haben, etwa die „Lise“ zu verkaufen. Keiner verrät, was das Gemälde von Pierre-Auguste Renoir auf dem Markt wert ist, aber alle scheinen zu wissen: Es ist das wertvollste Bild, das im Museum Folkwang hängt. „Wir haben im harten Haushaltsjahr 2010 nicht daran gedacht, wir tun es auch jetzt nicht“, sagt Klieve. Und ergänzt in seiner ihm eigenen Diktion: „Das ist kein Instrument zur Haushaltskonsolidierung.“ Vermögensveräußerungen hätten nur einen einmaligen Effekt, der schnell verpuffe. Wenn Klieve etwa ein städtisches Grundstück verkaufe, dann mit der langfristigen Perspektive einer Stadtentwicklung. Bilder verkaufen sei also keine Perspektive.
Die Linke will auch keine öffentliche Kunst auf den Markt werfen: „Kein Verkauf, nein! Bei den Bildern handelt es sich um wichtige Bestandteile einer öffentlichen Sammlung – Bilder, die der Stadt Essen und ihren Bürgern gestiftet worden sind“, sagt der Fraktionschef der Linken im Rat, Hans Peter Leymann-Kurtz, mit hörbarer Unlust an diesem Thema. Er wolle nicht mit der Mode gehen, nach der „alle den Preis einer Sache kennen, aber nicht mehr deren Wert“. Übersetzt könnte das auch heißen: Kein Tourist kommt nach Essen wegen eines ausgeglichen Haushalts, sondern wegen Häuser wie dem Museum Folkwang, dem unantastbaren Schatzkästchen.