Essen. . Der frühere Verfassungsrichter Udo di Fabio sprach im Audimax der Universität Duisburg-Essen. Thema seines Vortrags: „Wie ist individuelle Freiheit möglich?“ Die Bedrohung der persönlichen Freiheit, so di Fabio, gehe im 21. Jahrhundert weniger vom Staate aus, sondern eher vom Bürger selbst.
Vor einem allzu sorglosen Umgang mit persönlichen Daten im Internet warnt der ehemalige Verfassungsrichter Udo di Fabio. Die Bedrohung, die für den Einzelnen von großen Konzernen ausgehe, sei größer als etwa die Pläne des Staates zur Vorratsdatenspeicherung: „Google ist der große Bruder – nicht die Bundesrepublik Deutschland“, sagte er am Donnerstag am Rande eines Vortrags, den er im Rahmen seiner Mercator-Professur im voll besetzten Audimax der Universität Duisburg-Essen hielt. Sein Thema: „Wie ist individuelle Freiheit möglich?“ Die Bedrohung der persönlichen Freiheit, so di Fabio, gehe im 21. Jahrhundert weniger vom Staate aus, sondern eher vom Bürger selbst.
Größere Freiheit, wie sie etwa aus den Möglichkeiten des Internets resultiere, erfordere auch einen kritischeren Umgang damit. So habe er etwa stärkeren Widerstand erwartet, als Google anfing, Teile der Republik für das Street-View-Projekt flächendeckend zu fotografieren. Wenn sich eine Gesellschaft aber zu sehr darauf verlasse, dass allein der Staat für jedes Problem eine Lösung bereitstelle, ohne sich selbst zu engagieren, gerate eine Demokratie in Gefahr.
„Keinen Moment gezögert“
Manchmal muss selbst ein Jurist, der während seines ganzen Berufslebens jede Entscheidung genauestens abgewogen hat, nicht lange überlegen. „Als man mich fragte, ob ich die Mercator-Professur übernehme, habe ich keinen Moment gezögert, mit ,Ja’ zu antworten“, sagte der ehemalige Verfassungsrichter Udo di Fabio gestern im Vorfeld seines Vortrags an der Universität Duisburg-Essen.
Di Fabio ist gebürtiger Duisburger. Vor seinen Nachnamen reihen sich gleich drei akademische Grade („Prof. Dr. Dr.“). Und einen seiner Doktortitel, nämlich den in Soziologie, hat di Fabio an der Uni Duisburg-Essen erworben. Doch, halt. Damals, es war 1990, vor der Fusion mit Essen. Da hatte die Hochschule noch einen anderen Namen. Es war die Gerhard-Mercator-Universität in Duisburg.
Für di Fabio bedeuten die Vorlesungen, die er im Rahmen der Mercator-Professur hält, also eine Rückkehr an seine alte „Alma Mater“. Dabei, das gesteht er ein, war diese Uni damals gar nicht seine erste Wahl. Eigentlich wollte er nach Bielefeld, um im Umfeld des großen Soziologen Niklas Luhmann zu promovieren. Das klappte nicht. Er hat es nicht bereut.
Vordenker der Republik
„Mit der Mercator-Professur wollen wir die Universität nach außen sichtbar machen“, sagt Hochschulrektor Ulrich Radtke über den jährlich verliehenen Ehrentitel, den schon viele bedeutende Vordenker der Republik innehatten. „Es geht darum, spannende Themen aus der Universität heraus zu tragen.“
Di Fabio hielt seinen ersten Vortrag im November am Campus Duisburg. Er beschäftigte sich mit der Frage, wer in Deutschland eigentlich regiert: die Wirtschaft oder der Staat? Ein höchst aktuelles Thema, der Euro-Rettungsschirm dominiert(e) die Nachrichten. Gestern war sein Vortragsthema: „Wie ist individuelle Freiheit möglich?“
Eine Frage, die mehr als eine Antwort zulässt. Eine Frage, die weitere Fragen aufwirft. Besonders in Zeiten, in denen viele Menschen sich, wie er sagt, von den an sie gestellten Anforderungen zunehmend überfordert fühlten. In Zeiten, in denen Regierungen häufiger damit beschäftigt seien zu reagieren, und seltener damit, wirklich zu regieren.
„Die Realität ist doch: Jeder muss sehen, wo er bleibt“, sagt di Fabio. Die Gesellschaft zerfalle zunehmend. Die Gefahren: „Unzufriedenheit und Demokratieunlust.“ Gewachsene, Halt gegebende Strukturen, wie es sie einst in Familie, Nachbarschaft und Betrieb gegeben habe, würden vermehrt zur Ausnahme. „Übrig bleibt der Mensch und der Staat“, sagt der Jurist.
Auf Knopfdruck und Just-on-Demand
Problematisch werde es aber, wenn der Mensch sich zu sehr auf den Staat verlasse und zu viel von ihm erwarte. Für jede Schwierigkeit müsse es sofort eine Lösung geben. Di Fabio beklagt, dass diese Denkweise eine äußerst „sozialtechnische“ sei – oft zu technisch, dafür zu wenig sozial. „Alles soll auf Knopfdruck und Just-on-Demand funktionieren.“
Das könne es aber nicht. Denn wenn der Bürger zu viel von der Politik verlange, bremse diese zwangsläufig den Einzelnen aus. „Wir sollten uns von diesem sozialtechnischen Denken entfernen und stattdessen überlegen, was sonst noch zu einem gelungenen Leben gehört“, so di Fabio.
Also mehr Herz, weniger Kopf. Er schmunzelt. Er weiß selbst, dass dieser Ansatz romantisch klingt.