Essen. Jeder fünfte Essener stammt aus einem anderen Land. Wir haben einige Familien aus aller Welt gefragt, ob und wie sie Weihnachten feiern.
Die Kollegin hat ihre Wurzeln in Polen und erzählt gern, dass man dort zu Weihnachten ein Gedeck mehr auflegt, falls mal ein hungriger Gast anklopft. Ein anderer Kollege engagiert für die Kinder keinen Weihnachtsmann, sondern Väterchen Frost - seine Frau stammt aus Russland. Unsere Redaktion ist damit noch lange nicht so bunt wie die Stadt: Fast jeder fünfte Essener stammt aus einem anderen Land, wir haben einige von ihnen gefragt, ob und wie sie Weihnachten feiern.
Nahendrarajah Mahendram stammt aus Sri Lanka und gibt auf unsere Frage eine diplomatische Antwort: „Normalerweise sind wir Hindus, aber für unsere Kinder haben wir einen Adventskranz, Lichter und einen Plastikweihnachtsbaum vom Vorjahr.“ Der Baum sei noch gut in Schuss, sagt der Vater, aber seine Söhne (5 und 7) hätten am liebsten einen echten. Auf jeden Fall bekommen sie zu Weihnachten Geschenke: „Wie alle anderen auch.“
„Die Feier ist das Geschenk“
Geschenke findet Sylvester Chinedu Nwoye wiederum zweitrangig. „In meiner Heimat geht man Heiligabend in die Mitternachtsmesse. Groß gefeiert wird am ersten Weihnachtstag.“ Da kommen Freunde und Familie zusammen, kochen, essen, plaudern. „In Nigeria schenken wir uns nichts, wir sehen die Feier als Geschenk.“
Als er 2004 nach Deutschland kam, fand er die vielen Tannenbäume und die üppige Weihnachtsbeleuchtung recht seltsam. „Wir haben keine Tannen, und wer zu Hause Lichter anbringt, hat nur etwas davon, so lange der Generator läuft.“ Inzwischen bummelt Nwoye gern mit seiner Frau Kathrin und den beiden kleinen Kindern über den Weihnachtsmarkt. Und an den Feiertagen wird mit Freunden und Familie gefeiert - wie in Nigeria.
Für Cristina Fernandez-Moser und Montserrat Cernuda Garcia vom Spanischen Elternverein hat die Weihnachtszeit eigentlich gerade erst begonnen. „In Spanien beginnt sie an Heiligabend und erreicht ihren Höhepunkt zu Heilige Drei Könige“, sagt die eine, und die andere ergänzt: „Am Abend des 5. Januar stellen die Kinder Milch und Kekse für die Könige und die Kamele raus. Und am Morgen des 6. gibt es dann die Geschenke.“ Die Ankunft der Heiligen Könige sei ein Riesenspektakel. „In meiner Heimatstadt Gijón kommen die Könige mit dem Schiff an und präsentieren sich dann auf einer Bühne der Menge“, erzählt Cristina Fernandez-Moser.
Der Tannenbaum reiste im Skisarg mit
Adventskalender und Adventskranz seien in Spanien unbekannt, dafür spiele die Krippe dort eine große Rolle. Wenn sie Weihnachten aufgebaut wird, stehen die Könige noch abseits, werden bis zum 6. Januar langsam vorgerückt. Hübsche Bräuche sind das, und der Spanische Elternverein sorgt dafür, dass die Heiligen Drei Könige auch in Essen mit einem Fest begrüßt werden. Doch bei allem Traditionsbewusstsein feiern die beiden Frauen längst eine binationale Weihnachtsvariante – den Kindern und ihren deutschen Männern zuliebe.
Als ihre Familie einmal zu Weihnachten nach Spanien fuhr, nahm sie den Tannenbaum mit – im Skisarg auf dem Autodach, erinnert sich Cristina Fernandez-Moser. „Inzwischen kommen meine Eltern in der Adventszeit immer hierher, weil sie die Stimmung so mögen.“ Zum Fest mache ihre Mutter spanische Spezialitäten wie Turron oder Casadielles, Nougat und Nusstaschen. „Bei mir gibt’s Aachener Printen und Dominosteine“, lacht Montserrat Cernuda Garcia. Dafür mag sie spanische Weihnachtslieder: „Die sind fröhlicher: In einem Lied beobachten die Fische im Fluss, wie Maria die dreckigen Windeln wäscht.“ Klingt gut, doch ihre Tochter Noemi (9) hört lieber Rolf Zuckowski.
So bunt gemischt geht es bei Familie Syre aus der Bretagne noch nicht zu. Was daran liegen mag, dass sie erst seit gut einem Jahr in Essen lebt. Zum anderen besucht die kleine Cléa, die bald zwei Jahre alt wird, die französische Kita „Le Monde des Petits“, dürfte also nicht gar so viel Berührungspunkte mit dem Liedgut von Rolf Zuckowski haben.
„Bei uns spielt das Essen die Hauptrolle“
Einen Adventskalender hat Cléa aber schon, und die sind in Frankreich nur wenig verbreitet, genauso wie der Adventskranz. Die Hauptrolle spiele zu Weihnachten das Essen: „Das ist vielleicht noch wichtiger als die Geschenke“, meint Carole Syre. Beides gibt es am ersten Weihnachtstag. „Das ist auch der einzige Feiertag; an Heiligabend gehen die Leute noch zum Frisör oder kaufen bis in die Abendstunden Geschenke.“ Sie selbst besuchen abends die Messe und feiern am nächsten Tag mit der Familie: Mit Gänseleber und guten Weinen, mit Lachs, Austern, Truthahn, Maronen und Bûche de Noël – einem üppigen Buttercremegebäck – zum Dessert. Zwei Schlemmerwochen werden sie in Frankreich verbringen: bis zum Dreikönigsfest, an dem im „Galette des Rois“ eine kleine Figur eingebacken wird: Wer sie findet, ist für diesen Tag der König.
Was den Südeuropäern die Heiligen Drei Könige sind, ist in den Niederlanden der Nikolaus. Seine Ankunft wird groß gefeiert, jährlich in einer anderen Stadt. „Historisch gesehen mag er aus der Türkei kommen, für uns reist er aus Spanien an“, berichten Gaby Boorsma (44) und Saskia Wentholt (32), die beide seit Jahren in Deutschland leben und hier an der Universität arbeiten. Wenn das Schiff von „Sinterklaas“ Mitte November anlege, werde er von der Königin hochoffiziell begrüßt und von Tausenden gefeiert. Bis zum Nikolaustag am 6. Dezember reite er durch das Land, begleitet vom Zwarten Piet – und vom Fernsehen.
Der Zwarte Piet
Der Zwarte Piet ist das holländische Gegenstück zu Knecht Ruprecht, aber viel lustiger und gleich mehrfach vorhanden. „Das ist eine ganze Armee von Zwarten Piets, und die bleiben auch mal in einem Schornstein stecken“, sagt Saskia Wentholt. So dass es im November allabendlich im Fernsehen eine Nachricht vom Nikolaus und seinen Gehilfen gibt. Und allabendlich stellen die Kinder ihren Schuh vor die Tür sowie Möhren und Wasser für das Pferd von Sinterklaas. Am Nikolaustag gibt es die große Bescherung, zu der kleine Gedichte gehören, die man für einander verfasst.
Für Holländer in Deutschland hat diese bunte Tradition nur einen Schönheitsfehler: Nach dem 6. Dezember ist alles vorbei. Gaby Boorsma mag das ihrer elfjährigen Tochter nicht zumuten, darum feiert ihre Familie zu Heiligabend. „Wir gehen in die Weihnachtsmesse, auch mein Mann, der Iraner und Moslem ist.“
Ohne Christmas Pudding geht es nicht
Hui-Wen Liao hat mit dem Weihnachtsfest dagegen nichts im Sinn: Die 31-Jährige stammt aus Taiwan und ist der Liebe wegen nach Deutschland gekommen. „Ich habe einen türkischen Freund und der feiert Heiligabend natürlich auch nicht. Aber so habe ich immerhin einen Anlass, ihm etwas zu schenken.“
Seit 36 Jahren lebt Claudia Oliana in Essen, doch bis heute feiert sie Weihnachten am ersten Feiertag – wie in Italien. „Das ist sogar praktisch: Mein erwachsener Sohn hat eine deutsche Freundin und feiert Heiligabend bei ihr – und am nächsten Tag kommt er zu uns.“ Dann gibt es Lasagne, nicht weil das italienische Tradition wäre, sondern weil es beide Söhne so gern mögen. Für Claudia Oliana ist Weihnachten aber nicht nur Familien- sondern auch christliches Fest: Heiligabend geht sie in die Mitternachtsmesse, und vom Weihnachtsmann mag sie nichts wissen: „Zu uns kommt das Christkind.“
Auch für Rita Nadorf gehört die Kirche dazu, „außerdem lesen wir aus der Bibel“. Sie mag es besinnlich, anders als es mancher in ihrer englischen Heimat feiert: „Viele Leute nutzen das Fest für einen Kurzurlaub im Hotel, spielen Bingo und tanzen: Merry Christmas!“ Für die Bescherung sei „Father Christmas“ zuständig, der die Geschenke durch den Schornstein bringt, so dass sie in denvorm Kamin aufgehängten Socken landen, wo sie von den Kindern am Morgen des Weihnachtstages entdeckt werden. Und während bei uns der Bundespräsident spricht, wendet sich in Großbritannien die Queen an ihr Volk. Rita Nadorf selbst hat längst hiesige Weihnachts-Gepflogenheiten verinnerlicht: „Mein Mann ist Deutscher, meine Kinder sind hier aufgewachsen.“ Nur am Christmas Pudding halte sie fest. Eine Spezialität mit Rindertalg — very british.