Essen-Werden. Die Weihnachtsfeste seiner Kindheit waren wie ein schönes Märchen. Hubertus von Hindenburg, Enkel des damaligen Generalfeldmarschalls und Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, wuchs die ersten Jahre seines Lebens in des Großvaters engster Umgebung auf. Die wirren Wege des zweiten Weltkriegs und dessen Folgen führten Hubertus von Hindenburg in das Ruhrgebiet, nach Werden. Er blieb.
Wir sprachen jetzt mit ihm über seine Erinnerungen an jene Weihnachtsfeste, die für sein Leben große Bedeutung hatten.
Großvater Paul war Witwer, Schwiegertochter Margarete führte ihm den Haushalt. Zunächst waren sie zu Weihnachten im Palais in Berlin an der Wilhelmstraße, später auf Gut Neudeck im damaligen deutschen Osten. Hubertus’ Vater Oskar leitete dort, zusammen mit einem Inspektor, die Gutsangelegenheiten. Das landwirtschaftliche Familienunternehmen war auf Rinder- und Schafzucht sowie Ackerbau ausgerichtet, hielt aber auch Pferde.
Da „weiße Weihnacht“ in diesen Breitengraden üblich ist, fuhr die Familie dann mit dem Pferdeschlitten zur Kirche. War das nicht gefährlich? Gab es nicht Überfälle, Wölfe? Hubertus von Hindenburg muss lachen: „Nein, keine Verbrecher, keine Wölfe!“ Die einzige Gefahr sei gewesen, „dass am Schlitten immer etwas kaputt ging“.
Weihnachten auf Gut Neudeck – das gefiel dem kleinen Hubertus wesentlich besser als die Feiern, die der „Chef“ im Berliner Palais für alle Mitarbeiter gab. Doch erinnert sich der Enkel: „Mein Großvater hat die Mitarbeiter immer als eine Art erweiterte Familie betrachtet.“
Als Sohn Oskar 1914 an die Front musste, gab ihm der väterliche Generalfeldmarschall mit auf den Weg: „Denke daran, dass du eine große Verantwortung hast, du musst immer für deine Leute sorgen!“
Auch auf Gut Neudeck gab es für die Mitarbeiter die traditionelle gemeinsame Feier. Zu der Zeit war es Mode, kleinen Jungen zu Festlichkeiten einen weißen Matrosenanzug anzuziehen. Hatte er ...? Nein, er hatte nicht. Mutter Margarete hielt mehr von bayerischen Lodenjoppen. Aber ganz romantisch waren die Pferde vor dem Schlitten mit Glöckchen geschmückt, die fröhlich bimmelten. Einige dieser Glöckchen hängen noch jetzt in der Diele der Hindenburgs in der Huffmannstraße.
Ja, wie kamen sie nach Werden, seine Frau Vera und er? Er lernte die Studentin in Freiburg kennen, 1964 heirateten sie in Berlin.
Aber zuvor gab es dieses einschneidende Ereignis: der Zweite Weltkrieg und das letzte Weihnachtsfest auf Gut Neudeck, 1944, einen Monat vor der Flucht.
Der 16jährige Hubertus kam aus dem Internat in Thüringen nach Neudeck, die Mutter plante bereits entgegen den Durchhaltebefehlen der Nazis die Flucht nach Westen - da wurden Mutter und Sohn getrennt. Hubertus musste zum Wehrertüchtigungslager und zum „Volkssturm“.
Margarete von Hindenburg führte am 20. Januar 1945 einen Treck von etwa 150 Dorf- und Gutsbewohnern an, darunter auch Kinder, die aus westlichen Industriegebieten auf das „bombensichere“ Gut evakuiert worden waren.
Mit schweren Acker-Leiterwagen, Arbeits- und Kutschpferden und den vier Lieblingspferden „Rosenblüte“, „Attika“, „Wonne“ und „Welle“ zogen Margarete und ihre Schwester Helga über die vereiste Weichsel Richtung Pommern. Margarete hat alle heil durchgebracht. Bis nach Niedersachsen.
Auch Hubertus kehrte heil aus dem Krieg zurück. Er wurde Industrie- und Exportkaufmann, ging ins Ruhrgebiet, kam 1957 nach Essen.
1974 bauten er und seine Frau Vera in Heidhausen ein Haus, die Söhne Hannfried und Ferdinand wuchsen dort auf. Vera unterrichtete als Lehrerin an einer Grundschule. Vor drei Jahren - die Söhne haben eigene Familien gegründet - gaben Hubertus und Vera das zu groß, leer und still gewordene Haus auf und zogen in die Huffmannstraße. Beide engagieren sich für Amnesty international und den Deutschen Kinderschutzbund.
Jetzt steht wieder ein Weihnachtsfest an. Die Familie war seit Jahren nicht mehr zusammen, das soll nachgeholt werden. Hannfried kommt mit Frau und zwei Söhnen gar aus Hongkong, wo er derzeit arbeitet. Ferdinand will endlich seine zwei Töchter vorstellen. Die Großeltern sind überglücklich.