Essen. Ravioli, erzählt Sternekoch Berthold Bühler, habe er zuletzt als Jugendlicher gegessen, als er im Internat war, während der Zeit auf der Hotelfachschule. An diesem Weihnachtsfest kocht der Maitre vom “Residence“ ein Weihnachtsmenü, mit Zutaten aus der Tüte von der Tankstelle.

Was ist, wenn am Feiertag in der Küche alles schiefgeht? Sagen wir: Die Gans verbrennt oder der Karpfen riecht überraschend seltsam, noch bevor man überhaupt irgendwas mit ihm angestellt hat. Oder: Man hat schlicht verschlafen, rechtzeitig einzukaufen. Um 14 Uhr machen heute definitiv die Läden zu, doch Rettung ist meist nahe: Große Tankstellen haben auch Heiligabend bis 20 Uhr geöffnet. Wir haben Berthold Bühler, Patron des Zwei-Sterne-Restaurants „Résidence“ in Kettwig gebeten, sich für einen solchen Härtefall spontan etwas auszudenken - ein möglichst festliches Menü, zusammengestellt aus Lebensmitteln, die wir zuvor an zwei Tankstellen gekauft haben.

„Ich bin gespannt wie ‘ne Erbse“, sagt der 59-Jährige, als wir ihm eine voll gepackte Plastiktüte auf den Tisch im „Résidence“ stellen – mit Einkäufen von Esso und Aral. Als erstes zieht Bühler die Ravioli-Konserve hervor. „Oh Gott, ‘ne Dose.“ Ravioli, erzählt Bühler, habe er zuletzt als Jugendlicher gegessen, als er im Internat war, während der Zeit auf der Hotelfachschule.

"Die einfachen Sachen aus der Gegend"

„Dabei wäre gegen gute Ravioli oder Tortellini nichts zu sagen“, sagt Bühler. Am liebsten mag er sie selbstgemacht, oder zumindest aus der Kühltheke im Supermarkt. Wenn man Bühler nach seinem persönlichen Lieblingsgericht fragt, dann sagt er: „Die einfachen Sachen aus der Gegend, aus der ich stamme.“ Bühler wurde in Oberschwaben geboren. Kulinarisch übersetzt, heißt das: „Linsen mit Spätzle. Oder auch Kalbsnierchen.“

Die Plastiktüte ist voller weiterer lukullischer Herausforderungen: Gouda, schon fertig geschnitten in Scheiben – gourmettechnisch ein Unding. Bockwürste, einzeln abgepackt. Nun ja, kein Kommentar. Und: Dosenmilch. Bühlers Blick schweift umher: „Was mir fehlt“, sagt er, „ist Schokolade.“

Skeptischer Blick auf die Bockwürste

Ist nicht dabei. „Aber man kann ja davon ausgehen, dass an Weihnachten jeder einen Schoko-Nikolaus zu Hause hat.“ Ist in Ordnung, aber das klingt so, als hätte er sich vor unserem Zusammentreffen schon Gedanken gemacht. „Ein paar schon“, gibt er zu. „Aber das hier ist jetzt doch eine wirkliche Herausforderung.“ Er nimmt das Brot in die Hand, stellt es wieder weg. Schaut skeptisch auf die Bockwürste.

Die fertig gerösteten und gesalzenen Erdnüsse aus der Tüte sollte man nicht mehr verändern, findet Bühler dann – „nur leicht in der Pfanne erhitzen, ohne Öl, so wie Pinienkerne.“ Das wäre ein guter Einstieg zum Aperitif. Dann nimmt er Graubrot und Exquisa, wiegt beides prüfend in seinen Händen, schnell hat er den Entschluss gefasst: „Das kann man in Würfel schneiden und schichten, wir nennen es ,Dominosteine vom Roggenbrot mit Frischkäse’.“

Cordon Bleu von der Bockwurst

Jetzt nimmt er die Bockwürste: „Die kann man vielleicht aufschneiden“, überlegt Bühler, „und mit dem Käse - so eine Art Cordon Bleu. Genau. Cordon Bleu von der Bockwurst.“

Menü von der Tankstelle

Die Aufgabe für Berthold Bühler, den Sternekoch im
Die Aufgabe für Berthold Bühler, den Sternekoch im "Résidence" in Kettwig: ein Weihnachtsmenü, bestehend... © WAZ FotoPool
... aus Zutaten, die an der Tankstelle gekauft worden sind.
... aus Zutaten, die an der Tankstelle gekauft worden sind. © WAZ FotoPool
Ravioli, Gouda, Butterkekse, Bockwürstchen, Eier, Frischkäse, Erdnüsse, Dosenmilch, Weizenmehl.
Ravioli, Gouda, Butterkekse, Bockwürstchen, Eier, Frischkäse, Erdnüsse, Dosenmilch, Weizenmehl. © WAZ FotoPool
Sous-Chef Patrick Speck kümmert sich um den Gruß aus der Küche...
Sous-Chef Patrick Speck kümmert sich um den Gruß aus der Küche... © WAZ FotoPool
Dominosteine vom Roggenbrot mit Frischkäse.
Dominosteine vom Roggenbrot mit Frischkäse. © WAZ FotoPool
Nach den gerösteten Erdnüssen als Aperitif...
Nach den gerösteten Erdnüssen als Aperitif... © WAZ FotoPool
... ist wieder Bühler an der Reihe.
... ist wieder Bühler an der Reihe. © WAZ FotoPool
Dann folgt die Vorspeise: Cordon Bleu von der Bockwurst.
Dann folgt die Vorspeise: Cordon Bleu von der Bockwurst. © WAZ FotoPool
Die Plastiktüte von der Tankstelle ist voller kulinarischer Herausforderungen.
Die Plastiktüte von der Tankstelle ist voller kulinarischer Herausforderungen. © WAZ FotoPool
Die Bockwürste
Die Bockwürste "kann man vielleicht aufschneiden", überlegt Bühler. © WAZ FotoPool
Gesagt, getan.
Gesagt, getan. © WAZ FotoPool
Das Cordon Bleu nimmt Formen an.
Das Cordon Bleu nimmt Formen an. © WAZ FotoPool
"Das hier ist echt eine Herausforderung", sagt der Sternekoch. © WAZ FotoPool
Wurst im Goudamantel.
Wurst im Goudamantel. © WAZ FotoPool
picturegallery-107978_591382.jpg
© WAZ FotoPool
Die Fertigstellung von Gang eins.
Die Fertigstellung von Gang eins. © WAZ FotoPool
Bühler genießt es.
Bühler genießt es. © WAZ FotoPool
"Gegen gute Ravioli oder Tortellini ist nichts zu sagen." © WAZ FotoPool
Das Hauptgericht: Ravioli in Tannenduft.
Das Hauptgericht: Ravioli in Tannenduft. © WAZ FotoPool
picturegallery-107978_591389.jpg
© WAZ FotoPool
Sieht so aus, ...
Sieht so aus, ... © WAZ FotoPool
... wenn es fertig und flambiert ist.
... wenn es fertig und flambiert ist. © WAZ FotoPool
Hochbetrieb in der Küche.
Hochbetrieb in der Küche. © WAZ FotoPool
Das Werk ist vollendet.
Das Werk ist vollendet. © WAZ FotoPool
Und jetzt alles nochmal von vorn.
Und jetzt alles nochmal von vorn. © WAZ FotoPool
1/25

Und was kann man mit Mehl und Dosenmilch anstellen? „Mit dem Pürierstab die Dosenmilch aufschlagen zu einer Creme, das könnte gehen.“ Und wozu die Creme? Bühler blickt jetzt ratlos, schaut hinüber zu der Ravioli-Dose. „Das hier“, sagt er und nimmt die Dose in die Hand, „wird auf jeden Fall das Hauptgericht. Das steht fest.“ Es klingt eher wie: „Da müssen wir jetzt durch.“

Das gibt's an Heiligabend

Roswitha Hullmann:
Roswitha Hullmann: "Bei uns in der Familie kocht jedes Jahr jemand anderes, dieses Mal Verwandte in der Bretagne. Wenn ich einlade, mache ich traditionell Gans an Heiligabend, das ist stressig, macht aber Spaß. Dieses Weihnachtsfest bin ich nicht dran – Gott sei Dank!" Foto: Walter Buchholz © WAZ FotoPool
Peter Westen, Rüttenscheid:
Peter Westen, Rüttenscheid: "Ich bin an Heiligabend immer bei meiner Mutter eingeladen. Es gibt jedes Jahr eine geräucherte Fischplatte mit Krabben, Avocados und Brot dazu, das ist nicht so viel Aufwand. Aber ich glaube, den Stress (beim Kochen) wollen die Leute so – Weihnachten ohne Stress gibt’s nicht!" Foto: Walter Buchholz © WAZ FotoPool
Frank Heppner, Betriebsleiter des„Vincent & Paul“:
Frank Heppner, Betriebsleiter des„Vincent & Paul“: "Traditionell gibt es bei uns zuhause an Heiligabend ein Gericht, kein komplettes Menü“, verrät „Vincent & Paul“ Betriebsleiter Frank Heppner. Als gebürtiger Münchner sei bei ihm natürlich die Gans sehr hoch im Kurs. „Da ich an Heiligabend aber selbst nicht viel tun möchte, gibt es ein tolles Rezept, wobei man die Tage davor alles herrichten und die Gans (oder Ente) einfach dann in den Ofen schieben kann.“ Foto: Oliver Müller / WAZ FotoPool © WAZ FotoPool
Sofie Graf, Rüttenscheid:
Sofie Graf, Rüttenscheid: "Am liebsten würde ich Kartoffelsalat essen an Weihnachten. Ich bin alleinstehend, was soll ich mit einer ganzen Gans? Dieses Jahr bin ich bei meinen Kindern eingeladen, die kochen sehr gerne, für sechs Personen, eine Katze und einen Hund." Foto: Walter Buchholz © WAZ FotoPool
Dieter Michau, Stadtwald:
Dieter Michau, Stadtwald: "Heiligabend ist der einzige Tag im Jahr, wo mein Schwiegersohn kocht, für 14 Personen. Ich habe eine große Familie, meine Kinder laden alljährlich ein. Ich habe selbst also keinen Stress, aber für den Schwiegersohn ist das ja auch nur eine Ausnahme." Foto: Walter Buchholz © WAZ FotoPool
Henri Bach, Küchenchef des „Résidence“: „Nein, kein Kartoffelsalat mit Würstchen, das finde ich zu Weihnachten auch recht einfallslos“, sagt Bach. „Bei uns gibt es einen Feldsalat mit Kartoffel-Speck-Dressing und gebratener Wachtel, Petersilienwurzelcreme, Rinderfilet mit Gratin, Kartoffeln und Bohnen.“
Henri Bach, Küchenchef des „Résidence“: „Nein, kein Kartoffelsalat mit Würstchen, das finde ich zu Weihnachten auch recht einfallslos“, sagt Bach. „Bei uns gibt es einen Feldsalat mit Kartoffel-Speck-Dressing und gebratener Wachtel, Petersilienwurzelcreme, Rinderfilet mit Gratin, Kartoffeln und Bohnen.“ © NRZ
1/6

Wie kann man Dosenravioli aufmotzen? „Sicher mit etwas Frischem, einer Zucchini oder Kräutern, aber die haben wir ja nicht.“ Falls es aber eine Zwiebel im Haus geben sollte und frisch gemahlenen Pfeffer, sollten die Ravioli auf jeden Fall damit aufgewertet werden. „Ansonsten – jetzt die Bockwurst in die Ravioli zu schneiden, das wäre ja banal.“ Die Dosenravioli bleiben also so, wie sie sind – Bühler hat aber eine Servier-Idee: „Tannenzweige hat doch an Weihnachten jeder im Haus. Man könnte zwei Tannenzweige nehmen, sie in die Ravioli stecken und vor dem Servieren anzünden.“ Denn den Geruch von verbrannter Tannennadel „riech’ ich für mein Leben gern.“ Also – der Hauptgang: „Ravioli in Tannenduft.“ Manchmal kommt’s halt weniger auf das Was an, sondern mehr auf das Wie.

Mehl und Dosenmilch für Crepe

Und das Mehl und die Dosenmilch? Mit den Eiern zusammen, schlägt Bühler vor, „kann man einen Teig draus machen für einen Crepe. Dafür wäre dann die Schokolade gut. Die verflüssigen wir und lassen sie am Ende über den fertigen Crepe fließen. Das wäre dann das Dessert.“ Wie man aus Mehl, Eiern und Dosenmilch einen Teig macht? „Ganz einfach“, sagt Bühler. „Die Dosenmilch verflüssigt man mit Wasser.“ Das Mehl übrigens für eine Soße zu verwenden, findet Bühler, kommt gar nicht in Frage: „Mehlschwitzen macht man seit 100 Jahren nicht mehr. Viel zu schwer.“

Klingt gut, unser Menu – ist es jetzt fertig? Übrig blieben jetzt bloß die Butterkekse. „Ja, und das stört mich jetzt“, sagt Bühler und rutscht unruhig auf seinem Sessel hin und her. „Man muss wirtschaftlich denken.“ Heißt: Die übrigen Eier und ein Teil des Mehls kann man noch verwenden für eine Panade – „darin backen wir dann die Butterkekse. Als Arme Ritter. Schon zum Kaffee. Ja. So. Jetzt hätten wir’s.“ Bühler lehnt sich entspannt zurück. Und wäre schön, wenn dann noch Zucker und Zimt im Haus wären, zum Bestreuen.

Kein Dosenöffner zu finden

Dann kommt Bühler aber doch noch eine Idee, es geht um eine weitere Panade aus Roggenbrot-Bröseln und Ei – fürs Bockwurst-Cordon-Bleu. Doch die Idee verwirft er dann wieder. Wie auch immer. Das Menu steht.

Später war Bühler dann noch in der Küche seines Sternerestaurants, um alles gleich mal auszuprobieren. Bloß: Es gab überhaupt keinen funktionierenden Dosenöffner in der „Résidence“. Was ja irgendwie für die Küche spricht.

Es dauerte jedenfalls Ewigkeiten, bis die Konserve geöffnet war, ein Mitarbeiter fand noch einen Dosenöffner irgendwo, und der funktionierte aber nicht sonderlich gut. Bühler hat jedenfalls die Ravioli in einen großen Topf gegossen, zwei Tannenzweige hineingesteckt, und das Grün mit einem kleinen Hand-Brenner angezündet, so wie man ihn für Creme Brulee verwendet. Es roch hinreißend, aber das Ravioli blieb eben - Dosenravioli.

Deko aus Pflaumenmousse

Sous-Chef Patrick Speck hatte dann übrigens noch die Idee, die aufgeschnittene Bockwurst kurz in heißes Fett zu halten, für eine herzhafte Kruste. Und die Dominosteine aus Brot und Frischkäse machte er zum echten Hingucker - mit einer grazilen Deko aus Pflaumenmousse und zweifarbiger Kresse. „Machen“, sagte der Patron, als er seinem Sous-Chef über die Schulter guckte, „machen kann man immer viel.“

Man muss eben nur wissen, wie. Und da spielen dann auch Sterne keine Rolle. Sondern nur Ideen, ein bisschen Know-How und ganz viel Liebe zum Essen.