Essen. Der neue Chef der Alten Synagoge, Robert Uri Kaufmann, hat den alteingesessenen „Lehrhaus“-Kreis, in dem gemeinsam aus der Thora gelesen wird, aus dem Haus geworfen - um einen „klaren Kopf“ zu bekommen. Der Leiter der Veranstaltung, Eberhard Kerlen spricht von „einem unmöglichen Stil des neuen Leiters der Alten Synagoge.“

Seit elf Jahren leitet Eberhard Kerlen einen Kreis, der sich alle 14 Tage in der Alten Synagoge traf. „Lehrhaus in jüdischer Tradition“ heißt die Veranstaltung, zu der bis zu 30 Menschen zusammenkommen, die gemeinsam in der hebräischen Bibel, der Thora, lesen und darüber diskutieren.

Im September gab es dann eine böse Überraschung: Knall auf Fall wurde das „Lehrhaus“ aus der Synagoge verbannt, weil der neue Leiter des Hauses jüdischer Kultur, Robert Uri Kaufmann, eine „Denkpause“ für nötig hält.

Notasyl gleich nebenan erhalten

„Wir standen buchstäblich vor verschlossenen Türen“, sagt Kerlen, ein pensionierter evangelischer Pfarrer, der seine Fachkenntnisse in Sachen Judentum in längeren hebräischen Studien in Jerusalem erwarb. Seine Meinung zu diesem Vorgang: „Ein unmöglicher Stil des neuen Leiters der Alten Synagoge.“

Notasyl erhielt die vertriebene Gruppe gleich nebenan: Das katholische Stadthaus an der Bernestraße erklärte sich bereit, das „Lehrhaus in jüdischer Tradition“ aufzunehmen und somit seine Existenz zu retten, denn ohne ein Dach über dem Kopf lässt sich schlecht lernen und debattieren.

Zweifel an Thora-Interpretation Kerlens

Kerlen hofft, dass dies eine Übergangslösung ist: „Wenn wir jüdische Texte studieren, dann gehören wir ins Haus der jüdischen Kultur - wohin sonst?“ Der Theologe verhehlt nicht, dass alle Teilnehmer an diesem Haus hängen, und es ihnen eben nicht egal ist, wo sie sich treffen.

Was trieb Kaufmann zu diesem drastischen Schritt? „Es muss möglich sein, im Hause einen Neuanfang zu machen, es kann nicht einfach nach Schema F weitergehen“, sagt der seit gut drei Monaten amtierende Synagogen-Chef. Er habe Zweifel, ob die Thora-Interpretationen Kerlens zeitgemäß seien.

„Mein Ziel ist es, jüdische Referenten zu engagieren, die aus der Praxis kommen. Zudem möchte ich gerne jüngere Leute für die Alte Synagoge gewinnen“. Eine Anspielung darauf, dass sich die Gruppe um Kerlen überwiegend aus Menschen im Seniorenalter zusammensetzt.

Keine persönliche Antwort erhalten

Fertige Konzepte hat Kaufmann für seinen Neuanfang allerdings noch gar nicht. Ist es da vernünftig, eine bestehende, funktionierende, im übrigen nicht störende Gruppe erst mal an die frische Luft zu setzen? „Es geht darum, den Kopf frei zu kriegen“, begründet der 55-jährige Schweizer seine harte Tabula-rasa-Politik. „Und schließlich hat Herr Kerlen ja andere Räume gefunden. Wo ist also das Problem?“

Die Betroffenen sind erschüttert. „Ich bin verletzt, und viele meiner Mitstreiter sind es auch“, so Kerlen. In Briefen und Mails wurde Kaufmann aufgefordert, seinen Beschluss zu begründen, Stilfragen wurden aufgeworfen.

Eine persönliche Antwort habe niemand erhalten, auch Kerlen nicht. Nur ein kurzes Standardschreiben gab es - „an die Teilnehmer des Workshops von Herrn Kerlen“, wie Kaufmann leicht herablassend formulierte.

Neue Konzepte entwickeln

Der Bitte, einmal selbst zu erläutern, warum die Gruppe nicht mehr erwünscht ist, sei er ebenfalls nicht gefolgt. „Wir hatten uns noch gar nicht kennengelernt, da hatte Herr Kaufmann schon eine feststehende Meinung“, klagt Kerlen. Niemand bestreite Kaufmann das Recht, neue Akzente zu setzen. „Aber nicht in dieser für uns unwürdigen Form.“

Kulturdezernent Andreas Bomheuer hat die Kontrahenten im Januar zum Gespräch gebeten. „Im Moment möchte ich zu dem Vorgang nichts sagen.“

Kaufmanns Vorgesetzter lässt allerdings durchblicken, dass Aufgabe einer neuen Führung auch sei, neue Konzepte zu entwickeln. Kerlen glaubt, dass Kaufmann dabei weit übers Ziel hinausschießt: „Die Alte Synagoge nimmt Schaden.“