Essen. Simone Kliche (26) brach die Schule und eine Ausbildung ab. Als sie Mutter wurde, kam die Wende: Sie machte den Schulabschluss bei der Volkshochschule nach und begann eine Ausbildung.
Als Simone Kliche 16 Jahre alt war, wollte sie nicht mehr zur Schule gehen – wie viele Jugendliche. Zehn Jahre und einige Wendungen später hat sie eine fünfjährige Tochter und einen Ausbildungsplatz – wie nur wenige junge alleinerziehende Mütter.
„Damals war das Dummheit“, sagt die 26-Jährige über ihren Entschluss, die Gesamtschule nach der 9. Klasse zu verlassen. Um nach Hamburg zu gehen, zu ihrem Bruder, „mal wegzukommen aus Essen“. Wegzukommen auch aus nicht so glücklichen Umständen zu Hause. Die Mutter war nicht begeistert, die Klassenlehrerin versuchte, sie umzustimmen. Simone ging.
In Hamburg besuchte sie ein Jahr lang die Realschule, ging wieder ab und zurück nach Essen, hangelte sich mit Praktika und Jobs in Klamottenläden durchs Leben. Wollte Raumausstatterin werden, rutschte in eine Ausbildung zur Modeschneiderin. „Die hab ich auch abgebrochen.“ Ihr Ehrgeiz damals bestand darin, „etwas Geld in der Tasche zu haben“ – und die Zeit zu überbrücken, bis zu einem festen Job. Den sie nicht bekam.
"Mit der Kleinen hatte ich eine andere Verantwortung"
Dass das schwierig sein würde ohne Schulabschluss, war ihr schon klar. „Ich war nicht stolz auf meinen Lebenslauf und hab oft nicht gesagt, was ich alles abgebrochen hab.“ Mit 21 bekam sie ein Kind, ungeplant; mit dem Vater lebte sie nach der Geburt nur noch ein Jahr zusammen. „Aber da war Jolina längst mein ein und alles“ – und ein großer Ansporn. „Mit der Kleinen hatte ich eine andere Verantwortung.“
Sie suchte im Internet nach Möglichkeiten, einen Schulabschluss nachzumachen und stieß auf die Volkshochschule (VHS) und Heike Hurlin, die den Fachbereich schulische Weiterbildung leitet. Mit der Überzeugung, dass die Menschen, die zu ihr kommen, keine Problemfälle sind, sondern „eine Schatzgrube“. Wer Brüche in der Biografie habe, sei oft besser geeignet, berufliche Herausforderungen zu meistern, als diejenigen, bei denen immer alles glatt gelaufen sei.
Auch interessant
Simone Kliche sei ein typisches Beispiel für jemanden, der den zweiten Bildungsweg gehe. „Viele sind nie gefragt worden, was sie machen wollen. Die hat man in eine ungeliebte Ausbildung geschubst. Wir geben den Leuten die Chance zur Entwicklung.“ Eine Chance, die Simone Kliche ergriff: In zweieinhalb Jahren machte sie erst den Hauptschul-, dann den Realschulabschluss – mit einem Notenschnitt von 1,3.
Junge Mütter sind Turbo-Leistungsträgerinnen
„Die jungen Mütter sind oft unsere Turbo-Leistungsträgerinnen, die heben das Niveau der ganzen Klasse“, schwärmt Heike Hurlin. Dabei habe sie sich nicht einmal übermäßig anstrengen müssen, sagt Simone Kliche dazu. Der Unterricht laufe täglich von neun bis maximal 14 Uhr, das sei mit Tagesmutter und Kita-Zeiten gut zu vereinbaren gewesen. „Ich bin halt auch nicht der Typ, der drei Jahre zu Hause sitzt, ich brauchte die Abwechslung.“ Auch ihre Tochter, die erst anderthalb war, als die Ausbildung begann, sei ein zufriedenes Kind. „Und ich kann ihr nun ein Vorbild sein.“
Ihre eigene Mutter sei inzwischen leider verstorben. „Aber mein Vater war stolz wie Oskar auf meinen Abschuss.“ Auch sie hat ein Selbstvertrauen entwickelt, das sie die vielen Absagen wegstecken ließ, die sie trotz der guten Note bekam. Kauffrau für Bürokommunikation hatte sie werden wollen; „aber vielleicht hat manchen Arbeitgeber gestört, dass ich alleinerziehend bin“.
"Die Zeit bei der VHS hat mich gepusht"
Die Agentur für Arbeit, bei der sie sich nach ihrem Abschluss im Januar beworben hatte, störte das nicht. Zwar bekam Simone Kliche erst nach Monaten eine Einladung, doch dann durchlief sie rasch das Bewerbungsverfahren, machte ein Vorpraktikum und begann im September die Ausbildung zur Fachangestellten für Arbeitsförderung, in Teilzeit von 30 Stunden.
Wenn Simone Kliche heute alte Bekannte trifft, die sich erkundigen, was sie macht, gibt sie gern Auskunft. „Agentur für Arbeit – Du?“, fragen die anerkennend. Nun hofft sie, dass sie nach der Ausbildung bleiben kann. Wenn nicht, finde sie etwas anderes, sagt sie selbstbewusst: „Die Zeit bei der VHS hat mich gepusht.“