Essen. . Der Energieversorger RWE lässt Hochspannungsleitungen von der Luft aus auf Schäden kontrollieren. Für den Piloten wird die Aufgabe zu einem Drahtseilakt. 1593 Strommasten von Kranenburg nahe der Grenze zu den Niederlanden bis ins Ruhrgebiet fliegt Rolf Berge ab, 800 Kilometer Leitungen werden in Augenschein genommen.
Wenn sich Rolf Berge (57) und Jürgen Kleinherbers (53) in ihrer „Bell 206“ im Tiefflug nähern, gehen schon mal die Pferde durch. Und das nicht nur am Niederrhein: Erst gestern meldete sich ein aufgeregter Autohändler am Telefon, erzählt Kleinherbers. Nur dem beherzten Eingreifen eines Mitarbeiters sei es zu verdanken, dass nichts beschädigt worden sei, ereiferte sich der Mann am anderen Ende der Leitung. Denn um Haaresbreite hätte der Luftdruck der Rotorblätter die offen stehende Motorhaube einer Nobelkarosse krachend ins Schloss fallen lassen.
In Momenten wie diesen würde Berge und Kleinherbers auch im Blindflug bewusst, dass sie nicht überm platten Land im Einsatz sind, sondern über einer Großstadt.
Seile gleichen Spinnweben
Nahe genug ran müssen sie. Das ist ihr Job. Einmal im Jahr lässt der Energieversorger RWE das Stromnetz aus der Luft auf mögliche Schäden untersuchen. In diesen Tagen ist es wieder soweit. So sind Rolf Berge und Jürgen Kleinherbers - Pilot der eine, Elektromeister der andere - am Morgen mit ihrem hellblauen Hubschrauber am Flughafen Essen/Mülheim aufgestiegen. Bei bester Sicht steuert Berge die Essener Innenstadt an, die - je schneller die Maschine an Höhe gewinnt - auf Puppenhausformat zusammenschrumpft. Rathaus, Riesenrad, in der Ferne der blauweiße Schornstein der Alu-Hütte und in Richtung Horizont das Kraftwerk Scholven in Marl...
Die mattgrünen Hochspannungsmasten gehen fast unter im Häusermeer. 1593 Strommasten von Kranenburg nahe der Grenze zu den Niederlanden bis ins Ruhrgebiet fliegt Rolf Berge ab, 800 Kilometer Leitungen nimmt sein Passagier in Augenschein. Die knapp fingerdicken „Seile“ gleichen Spinnweben, als Rolf Berge langsam näher kommt, wachsen sie für den Betrachter zum Format von Spaghetti aus. Jürgen Kleinherbers genügt das, um zu erkennen, wo ein Blitz eingeschlagen ist, wo sich an der Ummantelung feine Drähte gelöst haben. Nicht einmal eine Handvoll schadhafter Stellen hat Kleinherbers bisher bei dieser turnusmäßigen Kontrolle aufnehmen müssen Das Netz bricht also längst nicht zusammen, doch jeder Fehler im System setzen sich fort, und bevor aus einem kleinen Schaden ein großer wird, beugt der Energieversorger lieber vor. Regelmäßig werden die Stromleitungen deshalb abgegangen und abgeflogen, wobei sich letzteres als effektiver erwiesen habe. Aus der Luft kommt man näher dran.
10 bis 15 Meter Abstand hält Rolf Berge zu den Hochspannungsdrähten, wenn seinem Nebenmann etwas verdächtig vorkommt, fliegt er bis zu drei Meter heran. Der Kontrollflug wird zum Drahtseilakt. 110.000 Volt mahnen zur Vorsicht. Damit im wahrsten kein Funke überspringt, muss der Pilot über Routine und eine ruhige Hand verfügen. Sollte die Maschine die Leitungen berühren, wäre das fatal. „Da hast du keine Chance“, sagt Berge und erzählt vom letzten tödlichen Unfall am Niederrhein, der schon einige Jahre zurückliege. Ein Ballonfahrer sei damals in eine Hochspannungsleitung geraten...
Aus der Luft repariert
Als die „Bell 206“ über dem Umspannwerk Victoria Mathias am Rande der City einschwebt, erkennt auch der Laie, dass sich etwas in einem der Drähte verfangen hat. Auch dieses glitzernde Etwas ist der Überrest eines Geburtstagsgruß oder das jähe Ende eine Ballonwettbewerbs? Nichts jedenfalls, wofür das RWE einen Reparaturtrupp losschicken müsste. Auch der würde seine Arbeit übrigens vom Hubschrauber aus erledigen, was aber kein Grund sein muss, die Pferde scheu zu machen. Der Strom würde vorher abgestellt.