Essen. Die kuscheligen Sessel in Deutschlands größtem Multiplex locken Studenten verführerisch zu einem Nickerchen. Die Universität Duisburg-Essen lehrt in einem ungewöhnlichen Hörsaal.

Ältere Semester können nur davon träumen, junge dürfen die Augen schließen in samtweichen Plüschsesseln eines lauschigen Kinos und langsam einschlummern, bis sie am Ende der Vorlesung aus dem Schlaf gerissen werden. Weil der Professor sagt: „Schau mir in die Augen, Kleines.“

Abends läuft „Johnny English“ und „Planet der Affen“, aber vorher ist ein Teil des Essener Cinemaxx jetzt Audimax. Das gab’s schon mal in den 90er-Jahren, und jetzt ist die Uni Duisburg-Essen wieder so proppenvoll, dass sie die Säle in Deutschlands größtem Multiplex-Kino hinzu mietet. Professor Wilfried Loth referiert über die Geschichte der Weimarer Republik und findet für seine Studierenden einen passenden Einstieg in seine Vorlesung: „Ich hätte nicht gedacht, dass ich auf meine alten Tage noch als Kinostar enden würde.“

Das Kino als Hörsaal, wohl die angenehmste Variante für Hochschulen, wenn sie aus den Nähten platzen. Anderswo ist das Studentenleben längst nicht so bequem wie am Limbecker Platz. An der Technischen Universität Dortmund, zum Beispiel, müssen sich die Studierenden in karge Container zwängen, die Uni Paderborn lehrt in einem ehemaligen Baumarkt, und in Bielefeld finden Vorlesungen sogar dort statt, wo normalerweise geschraubt wird: in Autohäusern.

Neues Hörsaalzentrum kommt

Rekord-Einschreibungszahlen an den Unis, 1500 mehr allein in Essen, NRW-weit 18 Prozent mehr als im Vorjahr lassen die Hochschulen erfinderisch werden. Die Vorlesung in der Loge oder auf dem Sperrsitz ist aber nur eine Zwischenlösung: „Wegen des starken Andrangs durch die ersten doppelten Abiturjahrgänge in mehreren Bundesländern, durch die Abschaffung der Wehrpflicht, aber auch durch die Abschaffung der Studiengebühren“, erklärt Uni-Sprecherin Beate Koska. Bis 2013 soll das neue Hörsaalzentrum gebaut sein. Der Geschichtsprofessor bewertet den Vorgang auf akademische Art als „situationsadäquate Reaktion auf die hohen Studierendenzahlen“. Sein Kollege, Professor Michael Kerres, führt Lehramtsstudenten um 12 Uhr c.t. ins „Lernen mit Medien“ ein. Der Hörsaal ist akzeptabel, mit einer kleinen Einschränkung: „Ich kann mich nur mit Hörern in den ersten Reihen unterhalten, weil der Kinosaal extrem schallisoliert ist und von hinten nichts mehr ankommt.“

Sechs Säle mit 2250 Plätzen öffnet das Cinemaxx für die Uni, an Tagen wie dem morgigen Mittwoch dürften fast alle Plätze für eine einzige Vorstellung – nein, Vorlesung muss es heißen – ausgebucht sein, die in vier Säle übertragen wird: „Einführung in die Bildungswissenschaften“.

Mensa im Kino

Die Studierenden sind halbwegs zufrieden. Sie müssen zwar auf Popcorn im Kino verzichten, dafür bekommen sie aber in der eigens eingerichteten „Cinemaxx-Mensa“ Kaffee, Brötchen und Mozzarella-Sticks zu Preisen wie zu Charly Chaplins Zeiten.

„Es ist schwieriger mitzuschreiben, weil wir keine Schreibflächen haben und es relativ dunkel ist“, bemängelt die Mathe- und Philosophie-Studentin Carolin Flörke (19). Und für ihren Kommilitonen Max Pilling (19) können die kuscheligen roten Sessel durchaus die gleichen tödlichen Probleme mit sich bringen, die ein Kinobesucher bei langweiligen Streifen hat: Sie laden verführerisch zu einem Nickerchen ein, „vor allem nach der Mensapause“.