Essen. . Das letzte Stück ihres Lebensweges verbringt Angela Humpe Im Hospiz Essen-Steele. Den Aufenthalt beschreibt die 70-Jährige als eine positive Erfahrung, die ihr Kraft gibt, ihr Leben zu ordnen, Abschied zu nehmen.
„Ich habe in meinem Leben eigentlich immer gekämpft. Was ich dabei alles von mir gefordert habe, wie ich mich überfordert habe, das war mir nie richtig klar. Erst hier im Hospiz, wo ich viel Verantwortung abgeben und mich fallen lassen kann, habe ich das begriffen.“ Angela Humpe spricht mit großer Distanz, fast sachlich vom Tod, der für sie nicht mehr fern ist. Wenige Tage, ein paar Wochen vielleicht bleiben ihr. „Wenn ich es mir aussuchen könnte, dann würde ich gern einfach einschlafen.“
Dass ihr Leben in einem Hospiz enden wird, betrachtet die 70-Jährige nicht mit Bedauern. „Ich wurde mit einem offenen Rücken geboren, bin also seit der Geburt behindert. Außerdem habe ich außer einer Schwester keine Verwandten. Natürlich habe ich mich da früh mit der Hospizbewegung auseinander gesetzt.“
Selbstbestimmt leben
Dabei ergab sich Angela Humpe nicht einfach ihrem Schicksal. Mit Gehhilfen meisterte sie ihr Leben, fand bei der Stadt Essen eine Anstellung im Jugendamt, die sie bis 1986 gut ausfüllte. „Ich habe immer zugesehen, dass ich selbstbestimmt lebe.“ Doch mit der Diagnose Brustkrebs änderte sich ihr Leben. „Danach ging es mit dem Laufen nicht mehr.“ Ihr Mann half ihr, das Leben im Rollstuhl zu meistern. „Er hat mich sehr unterstützt und mir viel geholfen.“ Doch 1997 starb er.
Aufgestellt sind seine Fotos an einem großen Fenster des Hospizes Essen-Steele. Davor stehen Blumen. Einzelne Blüten teils, Sträuße, die in der Spätsommer-Sonne dahin welken. „Ich bekomme hier viel Besuch“, sagt die 70-Jährige. „Mich erstaunt sehr, dass auch Menschen kommen, von denen ich lange nichts gehört habe.“ Noch erstaunlicher sei, dass sie heute ein offeneres, ein herzlicheres Verhältnis zu ihnen pflegen könne als noch vor dem Hospizaufenthalt. „Manche Menschen habe ich vorher nie so geschätzt.“
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"Für Zuwendung blieb keine Zeit"
Was Angela Humpe so beeindrucke, sei die Offenheit, die Freundlichkeit, die man ihr entgegen bringe. „Bevor ich hierher gekommen bin, war ich in der Kurzzeitpflege. Da gab es wesentlich weniger Personal. Für Zuwendung blieb keine Zeit.“ Als die Kurzzeit-Unterbringung auslief, kehrte Angela Humpe schwer pflegebedürftig heim. Kontakt nahm sie bereits vor der Entlassung zum ambulanten Hospizdienst auf. „Die haben sich sofort gekümmert und mich zu Hause begleitet, bis hier ein Platz frei wurde.“ Seit Anfang Juli schließlich lebt sie im Hospiz Steele. Ihre Wohnung will die 70-Jährige dennoch nicht aufgeben, noch nicht. Einen Platz im Leben behalten, obwohl sie wenig Hoffnung hat, dahin zurück zu kehren.
Nähe und Zuwendung
Den Glauben an Wunder allerdings hat sie nicht verloren. „Vor ein paar Wochen hatte ich einen Darmverschluss, hätten die Schwestern da nicht so schnell reagiert, wäre es zu Ende gewesen.“ Medizinisch fühle sie sich gut versorgt. „Als ich hierher kam, war ich begeistert von der Nähe, der Zuwendung, die es gab. Wenn ich etwas nicht essen mochte, hat man mich in die Küche gebracht, damit ich sehe, was alles vorrätig ist.“
Doch nicht nur die Sorge um die körperlichen Bedürfnisse, auch die spirituellen, philosophischen Gespräche beeindruckten sie, „wenn es mir nicht gut geht oder ich weine, ist immer jemand da, der mich in den Arm nimmt, der mir zuhört.“ Eine Nähe, die sie im Leben zu nicht vielen Bekannten entwickelte. „Es ist eine ganz reiche Zeit, die ich hier erlebe. Sehr emotional, als würde man Jahre komprimiert erleben. Ein intensives Leben und Erfahren, das mir neu ist, das ich so nie gekannt habe.“
Stimmung wird gedrückter
Dennoch werde sie nun, da die erste Euphorie verebbt sei, zunehmend nachdenklicher. „Das hat allerdings auch mit meiner Erkrankung zu tun.“ Inoperabel sind die Metastasen im Bauchraum. Und mit dem körperlichen Abbau werde auch die Stimmung gedrückter.
Ein Erleben, das Angela Humpe mit den vielen ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitarbeitern des Hospizes teilt. Zweifel, Sorgen, mit denen sie sich angenommen fühlt, „der Umgang hier ist sehr liebevoll.“ Besser könne Angela Humpe es sich nicht wünschen, besser nicht begleitet sein am Ende ihres Lebens. „Ich bin viel gereist, ich habe viel erlebt, ich habe alle Dinge geordnet. Wenn ich jetzt irgendwann einschlafe, dann ist es in Ordnung.“
Mehr als 70 Mitarbeiter betreuen Sterbende ganzheitlich
„Ein Zuhause in schwerer Zeit“ ist die Broschüre des Hospizes Essen-Steele überschrieben, „denn genau das wollen wir den Menschen bieten, die zu uns kommen“, sagt Hospiz-Geschäftsführer Pfarrer Günter Graßmann. Mit Schwellenangst hätten viele Menschen zu kämpfen, die in die stationäre Einrichtung, die über zehn Bettenplätze verfügt, kämen. „Viele denken, dass es hier duster und traurig ist.“ Doch das Gegenteil ist der Fall. Neben aller Funktionalität sind die Zimmer liebevoll eingerichtet, findet Kunst Raum im Einrichtungskonzept, ist Wohlfühl-Atmosphäre Gebot in dem Haus, in dem sich Menschen in der letzten Phase ihres Lebens heimisch fühlen sollen.
Doch all das ist nur Hülle, ist Staffage neben der menschlichen Zuwendung und Pflege, für die das Team seit nunmehr 15 Jahren verantwortlich zeichnet. Elf Vollzeitstellen gibt es zur Betreuung der zehn schwerst Pflegebedürftigen, „und wir haben einen Stamm von mehr als 60 Ehrenamtlichen, die uns nach Bedarf unterstützen“, sagt Pflegedienstleitung Sylvia Schager. Wie intensiv ein Patient betreut werden müsse, lasse sich schwer planen. „Manche Menschen bleiben nur Tage bei uns, andere über Monate.“
Das eigene Menschsein reflektieren
Was muss der Mensch noch regeln, wie gut kann er loslassen, sich aus dem Leben lösen? Welche Fragen stellt er – und wer kann ihm Antworten bieten oder zumindest ein offenes Ohr, eine Schulter zum Anlehnen, ein tröstendes Wort? Die Fragestellungen sind unterschiedlich – und die Antworten dulden keinen Aufschub. So sind die Krankenschwestern über ihr Fachwissen aus der Palliativ-Care-Ausbildung hinaus auch menschlich gefragt. „Man muss das eigene Menschsein immer wieder reflektieren. Sonst kann man den Job hier nicht machen“, sagt Sylvia Schager.
Mit Stolz sprechen Schager und Graßmann über ihr Haus, ihr Team, machen deutlich, dass die Begleitung Sterbender nicht Einzelleistung sein kann, und nur dann auf einem guten Weg ist, wenn der Patient ganzheitlich betrachtet wird, man seinen pflegerischen Bedürfnissen ebenso gerecht wird wie den spirituellen. Begleitung, die Mitarbeiter wie Ehrenamtliche Kraft kostet. „Darum kommen wir alle drei Monate zu einem Trauerritual zusammen“, sagt Schager. Kerzen für die Verstorbenen werden entzündet, über den Menschen sprechen die Mitarbeiter, „für mich ist das ein wichtiger Moment, um loszulassen, in dem ich Abschied nehme“, erklärt die Pflegedienstleitung.
Individuelle Verweildauer
Wie lange die Patienten im Hospiz bleiben, ist individuell verschieden, reicht von Tagen bis hin zu Monaten. Übernommen werden die Kosten durch die Kranken- und Pflegekassen sowie den „Verein der Freunde und Förderer des Hospizes Steele“. Trauergruppen und ein Trauercafé, in dem die Angehörigen und Freunde auch weit über den Tod eines Patienten hinaus über ihre Gefühle sprechen, sich mit Gleichgesinnten austauschen können, runden das Angebot des Hospizes ab. Und auch in der häuslichen Pflege wird das Team des ambulanten Hospizes aktiv.