Essen. Mehr als 4000 Bücher wandern jährlich durch den Mercator-Schrank am Grillo-Theater. In der Sommerzeit suchen sich dort viele Essener ihre Urlaubslektüre: Nun sind die Regale leer, es wird neuer Lesestoff benötigt.

Dass Sommer ist, merkt man vielleicht nicht am Wetter - aber am Bücherschrank vor dem Grillo-Theater. Der nämlich ist dieser Tage ständig leergeräumt, egal wie viel Lesestoff Gerhard Klaes hineinstellt. „Viele Leute suchen sich hier ihre Reiseliteratur aus. Sie greifen gern zu Taschenbüchern und Trivialliteratur - Sachen, die sie am Ende einer Reise zurücklassen können.“

Klaes muss es wissen: Der Fachjournalist betreut ehrenamtlich den Bücherschrank, den die „Stiftung Mercator“ im Dezember 2009 in der City aufgestellt hat. Es war ein Experiment, das sich schnell zur Erfolgsgeschichte entwickelte. Jeder kann hier Bücher einstellen oder entnehmen, sie ausleihen oder behalten. So sieht man an diesem Dienstag einen Wanderer mit Rucksack, der auf den Stufen vorm Theater rastet, ein Buch in der Hand. Man sieht einen Mann und eine Frau, die kurz parken und ihr Auto mit Büchern beladen.

Gelegentliche Bücherspenden

Ob Lesehunger oder Geschäftstüchtigkeit diese beiden treibt, weiß Klaes nicht. Er weiß aber, dass zu wenige Leute Bücher in den Schrank stellen. „Nur im Frühjahr, wenn aufgeräumt wird, landen hier schon mal halbe Bibliotheken.“ Ansonsten hilft Klaes mit Lesestoff aus: Einmal wöchentlich kommt er vorbei, schafft Ordnung und stellt bei Bedarf neue Bücher ein.

Sein Vorrat ist unerschöpflich: Er sammelt regelmäßig für die „Stiftung Buch und Wissen“ Bücherspenden ein. „Für uns selbst sind nur Bücher aus dem 16. bis 18. Jahrhundert interessant und solche, die wir verkaufen können, um die Restauration historischer Bücher zu finanzieren.“ Alle anderen lagert er, um damit nach und nach den Bücherschrank zu bestücken Kürzlich habe eine Anruferin gebeten, „ein paar Bücher“ ihres verstorbenen Vaters abzuholen. „Es waren dann 5000 Stück: Das sind etwa zwei Tonnen oder 150 Bananenkisten.“

„Bücher verraten mir, wer jemand war“

Ein Büchernachlass zeichne ein Porträt des Verstorbenen: „Da weiß ich: Das war ein Bergwerksdirektor, der aus Schlesien stammte und in seiner Freizeit jagte.“ Ein Leseprofil zu Lebzeiten formuliert Brigitte Held, die im Deutschlandhaus arbeitet und täglich in den Schrank schaut: „Am liebsten lese ich skandinavische Krimis, Klassiker und Reisebücher.“ Zahllose Bücher habe sie schon aus dem Schrank geholt und dabei Gespräche mit anderen Lesern geführt. Was beweist, dass der Schrank nicht nur der Leseförderung dient, sondern auch „sozialkommunikative Prozesse“ anstößt, wie es die Stiftung Mercator erhofft hatte.

Brigitte Held ist ohnehin eine vorbildliche Nutzerin, die oft Bücher in die Regale stellt. „Ich hoffe, dass sie viele Nachahmer findet“, sagt Klaes. Während er im Jahr 2010 mit 1000 Büchern aushelfen musste, waren es im laufenden Jahr schon bis jetzt 1200. Er schätze, dass hier jährlich insgesamt über 4000 Bücher den Besitzer wechseln. Die längste Verweildauer hätten die Exemplare im untersten Fach. „Bis auf den 24-bändigen Brockhaus mit Goldschnitt, den ich da platziert hab’. Der war sofort weg.“

Buchspendern rät Klaes übrigens, vorab nach vergessenen Lesezeichen zu suchen. Er habe am Mercator-Schrank schon verzweifelte Suchmeldungen gelesen: „Da vermissten die Vorbesitzer alte Fotos oder Liebesbriefe.“

Für Leseratten

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