Essen.

Drei Stunden dauert die Rundfahrt der Essen Marketing entlang stattlicher Villen, Industriegebäude und moderner Wohnideen des Bürgertums genommen. Das Motto „Wo Villen sind, ist auch ein Weg“ erhält während der Tour eine besondere Bedeutung.

Die Villa Vogelsang in Steele-Horst war der Inbegriff von Weitläufigkeit und florierender Industriekultur im 19. Jahrhundert. Trotz dutzender Angestellter und großer Familien war die Instandhaltung für die Frau des Hauses ein Vollzeitjob. Wie lebt es sich heute in so einem Anwesen, wo Angestellte rar und die Familie klein ist? „Die Größe und der Platz sind toll. Es ist ein ganz anderes Lebensgefühl. Die Neugier auf die Welt bleibt, aber es ist reizvoll, einfach nur ein paar Tage hier zu verweilen. Es fällt schwer, hier nicht glücklich zu sein“, sagt Karin Meyer, die seit vielen Jahren in der Villa Vogelsang wohnt und arbeitet.

Die Essen Marketing (EMG) hat am Samstag 45 Essener mit auf eine dreistündige Rundfahrt entlang stattlicher Villen, Industriegebäude und moderner Wohnideen des Bürgertums genommen. Die Teilnehmer erfuhren dabei Interessantes über die Stadtentwicklung der letzten 150 Jahre und bestaunten imposante Bauwerke.

So hat man von der Hinterseite der Villa Vogelsang einen atemberaubenden Blick auf das Ruhrtal und die Burg Altendorf. „Es ist so idyllisch. Man bekommt hier einen Eindruck, wie Essen vor Kohle und Stahl gewesen sein muss. Ich könnte mir gut vorstellen, hier in einer WG mit meinen Freundinnen zu leben“, so das Fazit von Christa Schmidt.

Auch interessant

Von DerWesten

Dabei wirkt die Eingangshalle der Villa eher düster und eng. Anke Olik von der EMG klärt auf: „Nach der französischen Revolution stand nicht mehr das Königliche, sondern das Bürgerliche im Vordergrund. Das zeigt sich auch in der klassizistischen Architektur, wo die Konstruktion wichtiger als eine prunkvolle Repräsentation wird.“ Der Luxus liegt vielmehr im Detail: Ein Messing-Leuchter an der Wand, aufwendige Stuckverzierungen an der Decke und ein Spiel-Tisch, auf dem ein Schach- und Dame-Spielbrett eingezeichnet sind. Zwei Säulen sind in Marmoroptik bemalt, die Flügeltüren haben nur scheinbar eine Holzmaserung.

Verlagerung in die Stadtmitte

Im 20. Jahrhundert verlagerte sich die Wohnkultur in die Stadtmitte. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es wichtig, dass möglichst schnell viel Wohnraum entstand. Erst in den 1960er und 1970er Jahren konzentrierte sich das bürgerliche Wohnen wieder in die ruhigen Vororte. Olik: „Man wollte unter sich sein.“

Vor allem bei der Fahrt durch Bredeney tauchen rechts und links der Straßen immer wieder große, in klassizistischer Optik gebaute Anwesen auf, die aus dieser Zeit stammen. Im Bus herrscht derweil eine Stimmung wie auf einer Klassenfahrt. Mitgebrachte Butterbrote werden ausgepackt, Anekdoten erzählt, und das Gesehene ist Gesprächsthema. „Ich bin gebürtiger Essener, aber ich kenne viele Stellen in der Stadt gar nicht“, so Winfried Lobeck. Gertrud Struwe ergänzt: „Hinter die Kulissen der Industriestadt zu schauen, ist spannend – auch wenn ich nicht in einer großen Villa wohnen möchte.“

Der Name der Veranstaltung „Wo Villen sind, ist auch ein Weg“ erhält während der Tour eine besondere Bedeutung: An der Kunstwerkerhütte in Bergerhausen bleibt der große Reisebus in der engen Fahrradstraße stecken, und der Busfahrer muss eine halbe Stunde rangieren, bis die Fahrt weitergehen kann. Der Zwischenfall macht eine Veränderung in der Wohnkultur deutlich: Stattliches Wohnen bedeutet heute nicht mehr Weitläufigkeit. Nicht die Grundstücksfläche ist nun entscheidend, sondern der Parkplatz vor der Tür. „Flexibilität ist heute ein wesentlicher Faktor geworden. Die Menschen wollen stadtnah wohnen, aber auch raus können. Der Außenbereich ist ein Faktor für Lebensqualität“, erklärt Olik.

Gewohnt werde heute in Neubauten oder umgebauten Industriehallen wie der Dinnendahlschen Fabrik, wo riesige Luxuslofts ohne Wände mit nachgerüsteten Balkonen angeboten werden. Selbst die Toilette hat in diesen Wohnungen keine Trennwände. Um 1850, als die Villa Vogelsang gebaut wurde, wäre das der gesellschaftliche Untergang gewesen.