Essen. .
Eines wird Reinhard Paß noch zu erklären haben: Verbreitet die Alte Synagoge nun „Misstrauen, Hass, Anfeindung und Unfrieden“? Er hatte die Kritik des Integrationsrat-Vorsitzenden Balaban an den „Donnerstagsgesprächen“ nicht zurückgewiesen.
Die Stimme des OB ging in ein salbungsvolles Tremolo über: „Die Stadt ist Ihnen zu großem Dank verpflichtet“, sprach Reinhard Paß am 28. März 2011 zu Edna Brocke, die an diesem Tag als Leiterin der Alten Synagoge verabschiedet wurde. Nun, der Dank der Stadt währte ausgesprochen kurz. Wie sonst ist es zu erklären, dass der Oberbürgermeister nur wenige Wochen später gebieterisch eine Änderung der inhaltlichen Ausrichtung des „Hauses der jüdischen Kultur“ fordert und den unverschämten Vorwurf des Integrationsbeiratsvorsitzenden Muhammet Balaban, die Alte Synagoge verbreite in Essen „Hass“, nicht zurückweist?
Aber Paß’ warme Worte an jenem Tag waren natürlich weitgehend Heuchelei. Denn seit langem war die Gedenkstättenleitung maßgeblichen Leuten im Rathaus ein Dorn im Auge, weil sie sich beispielsweise in der Islam-Debatte partout nicht in die kritiklose Konsenssoße einbinden ließ, die in Essen beliebt ist und die mancher mit gelungener Integrationspolitik verwechselt. In der Alten Synagoge wurde und wird (noch) Klartext geredet - nicht beleidigend, aber offen und ehrlich. Eine Provokation für alle, denen bei diesem Thema das Herz in die Hose rutscht und das Sprechwerkzeug versagt.
Bunkermentalität
Der Brief des OB spiegelt insofern in der Grundtendenz tatsächlich die ehrliche Meinung des Stadtoberhaupts wieder. Andererseits ist das Schreiben wegen seiner ungeschickten, auch unpolitischen Grobheit, die offenbar keinem im OB-Büro auffiel, ein erschreckender Beleg für Bunkermentalität. Genau diese wird der Umgebung von Reinhard Paß nachgesagt - übrigens nicht nur vom politischen Gegner, sondern fast mehr noch von Unzufriedenen in der SPD.
Im Geschäftsbereich Kultur, zu dem auch die Alte Synagoge gehört, soll sich Paß geradezu blind auf seinen Referenten Michael Imberg stützen. Das könnte erklären, warum gerade hier in letzter Zeit die Wogen so hochgehen. Imberg, ein gewiefter Strippenzieher, macht nicht nur dem oft unsicher agierenden Kulturdezernenten Andreas Bomheuer das Leben mit Querschüssen schwer, er soll auch Edna Brocke in einer Weise zugesetzt haben, wie es einem kleinen Rathaus-Mitarbeiter eigentlich nicht zukommt. Die resolute Brocke wusste sich zu wehren. Bomheuer hingegen wird sich noch das nötige Quantum Härte zulegen müssen, wenn er im Intriganten-Stadel Rathaus den Kopf auf Dauer oben behalten will.
Es ist etwas zu klären
Imberg war offenbar auch maßgeblich beteiligt bei der Auswahl des neuen Leiters der Alten Synagoge, Uri Kaufmann, der im Sommer seinen Dienst antritt. Dieser hat den klaren Auftrag, das Haus der jüdischen Kultur auf Harmlosigkeit zu trimmen, die Islam-Debatten zu beenden oder wenigstens in seichte Gewässer zu führen. Vor diesem Hintergrund dürfte die Hoffnung der CDU trügen, in der Alten Synagoge möge auch künftig ein kritischer Geist herrschen. Fraktionschef Thomas Kufen weiß es in Wahrheit auch besser.
Eines wird Reinhard Paß der Öffentlichkeit noch zu erklären haben: Verbreitet die Alte Synagoge nun „Misstrauen, Hass, Anfeindung und Unfrieden“, ja oder nein? Der OB hat auf den Brief von Muhammet Balaban überaus verständnisvoll geantwortet und diesen bösen, völlig maßlosen Vorwurf unkommentiert stehen lassen. Er hat ihn sich damit - ob gewollt oder nicht - zu eigen gemacht. Mindestens aber besteht der Verdacht, dass Paß Balabans Meinung billigend hinnimmt. Das kann für einen Essener Oberbürgermeister unmöglich das letzte Wort sein. Nicht bei einer Institution, die seit Jahrzehnten gegen Antisemitismus kämpft - und dabei zu Recht keinen Unterschied macht, welcher Religion oder Ethnie der Judenhasser angehört.