Essen. . Es gibt medizinische Gründe für sexuelle Störungen, jedoch haben sie nicht selten psychische Ursachen. Eine Therapie kann helfen, Unlust und Erektionsstörungen zu überwinden.
Sexualität ist weit mehr als der Akt der Fortpflanzung, sie ist Nähe, ist Urbedürfnis. Nicht zulezt sei sie entscheidender Bestandteil des Rollenbildes eines Menschen, wie die Sexualtherapeuten Wiebke Driemeyer und Jörg Signerski-Krieger erklären. Doch was passiert, wenn Frau, dem Bild der in der Werbung vorgelebten sinnlichen Verführerin nicht entspricht, schlicht lustlos ist? Was, wenn dem allzeit bereiten Beschützer die Erektion versagt bleibt?
Es gibt medizinische Gründe für sexuelle Funktionsstörungen, „und die sind den Patienten oft lieber, weil es sie entlastet. Umgekehrt denken viele, dass sie ,Schuld’ an der Störung haben, wenn es psychische Ursachen gibt. Dabei ist das gar nicht so schlecht, denn es bedeutet, dass man dagegen etwas tun kann“, sagt Wiebke Driemeyer.
Nähe und Berührung
Probleme mit Nähe und Berührungen, die ihre Ursprünge in der Kindheit haben, können Auslöser sein, Stress im Job und Überforderung im Alltag spielen eine Rolle, Reibereien in der Partnerschaft, Konflikte, für die im Alltag der Blick fehlt. Man hat einen Job, ein Haus, Kinder – von außen betrachtet zufriedenstellend. Dass es zwischenmenschlich im Büro knirscht und zu Hause kracht, all das sehen Betroffene zunächst nicht als Grund für sexuelle Lustlosigkeit und Erektionsstörungen an.
Zudem: Nicht selten potenzieren sich die Probleme. Kommen mit dem Stress in der Firma und der Scham im Bett Diskussionen um Unzufriedenheit ob mangelnder Befriedigung hinzu, was der Beziehung eine ungesunde Dynamik gibt, die sich schwer stoppen lässt. Und als wäre all das nicht genug – der Weg in die sexualtherapeutische Sprechstunde der LVR-Kliniken bedeutet vielen eine zusätzliche Hürde.
Hoher Leidensdruck für Betroffene
„Manche Menschen haben schon ihr ganzes Leben Probleme mit der Sexualität. Andere erst seit einigen Jahren, dennoch ist der Leidensdruck meist sehr hoch, bevor man zu uns kommt“, sagt Driemeyer. Fest stehe, dass der Gang in die Sprechstunde zögerlich angetreten werde. „Eine Gynäkologin, mit der wir zusammen arbeiten, schickt regelmäßig Patientinnen zu uns“, sagt Driemeyer, „und wir stellen fest, dass es meist Monate dauert, bis sie sich wirklich an uns wenden – oder gar nicht.“
Zudem: „Für Frauen stellt sich das Problem anders dar als für Männer. Wenn eine Frau Lustlosigkeit empfindet oder beim Geschlechtsverkehr Schmerzen hat, dann kann sie die Abstinenz besser aushalten als ein Mann, der mit seiner Erektion auch die Fähigkeit verbindet, eine Frau zu befriedigen.“ Und nicht selten sei es so, dass Paare auch miteinander Probleme hätten – womit zwei Menschen den Weg antreten müssen, der Überwindung kostet.
Therapie auch für Singles
Tätig werden die Sexualtherapeuten zwar auch für Singles, „aber wir würden nicht mit einer Therapie beginnen, wenn ein Mann seine Frau vorbei schickt, damit die dann ,funktioniert’, obwohl er selbst nicht bereit ist, an der Beziehung zu arbeiten“, erklärt die Therapeutin. Nicht zuletzt, weil sich in Partnerschaften, in denen es sexuell nicht gut laufe, andere Probleme entwickelten, man entferne sich voneinander, entwickle Konflikte.
Aber wie funktioniert sie denn nun eigentlich, die Therapie? „Wichtig ist, dass ein Arzt vorher ausgeschlossen hat, dass es keine organischen Ursachen gibt. Dann klären wir in einem Erstgespräch, welche Probleme es gibt und mit welchem Anliegen die Patienten zu uns kommen“, sagt Signerski-Krieger. Weiter geht es mit Sitzungen, in denen eine Bestandsaufnahme der Lebensumstände erfolgt. Job, Familie, soziales Umfeld. Zufriedenheit, Überforderung, Wünsche. Wo steht man – und was ist das Ziel?
Hausaufgaben sind Therapie-Bestandteil
Wie man dorthin gelangt, sei unterschiedlich. Dass der Weg lang ist, teils über Monate, manchmal auch über die Jahresfrist geht, die Sexualtherapeuten verschweigen es nicht. Ist all dies geklärt, geht’s an die Übungen. „Die machen wir allerdings nicht hier, sondern die Patienten bekommen Hausaufgaben.“ Übung 1: Rücken und Brust dürfen, sie sollen gestreichelt werden, die Genitalien sind tabu. „Wir sprechen sogar ein Sexverbot aus“, sagt Signerski-Krieger. Was zur Folge habe, dass die fehlende Erektion, die Lustlosigkeit der Frau zunächst keine Rolle spielten. „So kann man lernen, Berührungen zu genießen, ohne dabei schon zu Beginn den Gedanken zu haben, dass gleich der Sex folgt und alles schief läuft. Zudem übt es, Nähe zuzulassen.“ Nicht zuletzt lernten die Partner ihre individuellen Grenzen abzustecken. Stop sagen, den eigenen Körper, die eigenen Grenzen neu erfahren.
Wie lange Übung 1 den Patienten genügen muss, sei individuell verschieden. „Manchmal geht das über Monate.“ Wichtig sei der Prozess der Selbsterfahrung, die entspannte Wahrnehmung des Partners.
Verzicht löst das Problem nicht
Warum der Mensch nun nicht einfach verzichtet? „Das Krankheitsbild der sexuellen Störungen geht ja weit über ein Mangelgefühl hinaus und ist sehr komplex. Andere Probleme pfropfen sich da drauf. Die Patienten sind häufig traurig, haben Schlafstörungen und Depressionen, Ekelgefühle beim Gedanken an Sexualität bis hin zu Selbstverletzungen.“
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Gezahlt wird die Sexualtherapie - aufgrund der häufig begleitenden multiplen Symptome - von den gesetzlichen Krankenkassen. Rund 14 Tage, so Driemeyer, müssten neue Patienten auf den Termin für ein Erstgespräch warten.
Die Sprechstunde für Sexualstörungen hat ihren Sitz in den LVR-Kliniken, Wickenburgstraße 23. Weitere Informationen und Termine montags bis donnerstags von 8 bis 16 Uhr sowie freitags von 8 bis 14 Uhr unter 87 07 - 380.