Eine Befragung der Essener Altenheime deckte zahlreiche Missstände auf. Doch Experten warnen jetzt vor Panik und falschen Verdächtigungen.

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So manchem Mitglied des Seniorenbeirates wurde mulmig zumute, als an diesem Mittwoch die Befragung der Essener Alten- und Pflegeheime vorgestellt wurde (WAZ vom 3. Juli). „Bei dem Gedanken, selbst einmal in ein Heim zu ziehen, bekamen einige richtig Angst”, erzählt Beiratsvorsitzende Ingeborg Schrader. „Da ist vieles einfach unmenschlich.” So sei ihr die hohe Zahl der Fixierungen (21,6%) ebenso unbegreiflich wie die der Blasenkatheter und Magensonden (jeweils 11%). „Wenn die Gefahr besteht, dass ein alter Mensch aus dem Bett fällt, kann man doch Kissen davor platzieren”, meint Schrader. Und mit Geduld könne wohl mancher gefüttert werden, der jetzt eine Sonde hat. „Sonst nimmt man den Menschen das letzte bisschen Genuss.”

Es gebe jedoch auch viele gute Heime in Essen, in denen gewissenhaft gearbeitet werde, beschwichtigt Schrader. Auch habe sich seit der Befragung im Jahr 2002 einiges verbessert. Das fange mit der Auskunftsfreude an, bestätigt Johannes Potgrave von der Heimaufsicht im Gesundheitsamt, die die Befragung durchführte. So hätten 91 Prozent der 70 Alteneinrichtungen in Essen den Fragebogen im Jahr 2008 ausgefüllt, vor sieben Jahren waren es 63 Prozent.

Schon deshalb mag Potgrave sich nicht an einen verbalen Rundschlag nicht beteiligen. „Die Mehrzahl der Einrichtungen arbeitet gut, trotzdem muss man Missstände beachten.” Bloß sei nicht jede Fixierung ein solcher Missstand: Erstens sei diese nur auf richterliche Anordnung erlaubt, zweitens handele es sich dabei in den meisten Fällen um ein Bettgitter, nicht um einen Bauchgurt. „Aber auch Gitter könnte man durch ein abgesenktes Bett und eine davorliegende Matratze ersetzen.”

Auch an anderer Stelle wünsche er sich eine differenzierte Betrachtung: So würden Magensonden nicht von den Heimen, sondern meist während eines Krankenhausaufenthaltes vom Arzt angelegt, weil sie sonst eine mangelnde Flüssigkeits- und Nahrungsversorgung befürchten. „Es gibt aber Heime, die sagen: Wir sorgen mit viel Zuwendung schon dafür, dass der Bewohner isst und trinkt”, so Potgrave. Nur fehle vielerorts dazu das Personal. Beim Vergleich der Befragungen von 2002 und 2008 zeige sich, dass Senioren immer später und mit entsprechend schwereren Erkrankungen ins Heim ziehen, die Zahl der hohen Pflegestufen gleichzeitig aber rückläufig sei. Denn der Medizinische Dienst gruppiere immer mehr Bewohner in niedrige Stufen ein - nach den Pflegestufen aber richte sich der Personalschlüssel. „Die Pflege ist immer am Limit”, folgert Potgrave.

Der Leiter des Marienhauses in der Innenstadt, Georg Bonerz, mag diese Entwicklung nicht hinnehmen. Immer öfter wehrt er sich gegen „korrekturbedürftige Einstufungen” vor Gericht: „In mehr als 90 Prozent der Fälle bekommen wir recht.” So hat das katholische Pflegeheim im vergangenen Jahr 170 000 Euro erstritten. Damit dieser juristische Kleinkrieg nicht auf dem Rücken der Heimbewohner ausgetragen wird, tritt die Einrichtung in Vorleistung: „Wir beschäftigen regelmäßig drei, vier Pflegekräfte mehr, als uns nach dem offiziellen Schlüssel zustehen.” Immerhin liege das Durchschnittsalter der 102 Bewohner bei fast 90 Jahren. Eine alte Dame sei sechseinhalb Jahre lang nach Stufe drei gepflegt worden, „obwohl wir nur Geld für Stufe zwei erhielten”. Am Ende bekam Bonerz ein Urteil zu seinen Gunsten und eine Nachzahlung. „Wir kämpfen eben für eine menschenwürdige Pflege”, sagt er. Wer die für sich oder seine Angehörigen wünsche, werde auch fündig: „Man muss sich einfach gut umsehen. Dann braucht man keine Angst vor Altenheim zu haben.”