Essen. . Während Hausbesitzer ihre Individualität an der Fassade ausleben, kämpfen Planer für geschmackliche Leitplanken. Dagegen bewegt sich Essens Äußeres zwischen Puppenstube und Pop-Art, pittoreskem Kettwig und knallbuntem Hotel Petul in Stoppenberg.
So ein Stadtbild ist ein empfindliches Kunstwerk: In einer Großstadt wie Essen werkeln zahllose Künstler und ebenso viele Banausen daran herum, und wo an der einen Stelle mit viel Liebe zum Detail und erheblichem finanziellem Aufwand ein Baudenkmal aufpoliert wird, entsteht an einer anderen die nächste Bausünde. „Essen ist halt nicht Nottuln“, sagt der Leiter des Amtes für Stadtplanung und Bauordnung, Thomas Franke. „Ein so geschlossenes Erscheinungsbild wie in einer münsterländischen Kleinstadt können Sie hier nicht erreichen.“
Es ist wohl auch das Letzte, was Franke sich wünscht: „Harmonisch heißt ja nicht unbedingt schön.“ Und spannend heißt es auch nicht. Dagegen bewegt sich Essens Äußeres zwischen Puppenstube und Pop-Art, zwischen dem pittoresken Kettwig und dem knallbunten Hotel Petul in Stoppenberg. Letzteres sei eine Scheußlichkeit, findet Franke. „Man hat den Eindruck, die haben zig Farbreste an die Fassade geklatscht.“
Eine Handhabe gegen Farborgien hat Franke in weiten Teilen des Stadtgebietes nicht. Aber: Der Ortskern Kettwigs, die Margarethenhöhe und die Zechensiedlung Carl Funke stehen geschlossen unter Denkmalschutz, zudem gibt es fast 1000 Einzeldenkmäler. Daneben versucht die Stadt in manchen Vierteln mit Gestaltungs- oder Erhaltungssatzungen, geschmackliche Leitplanken einzuziehen. Ob Walm- oder Satteldach, Rauputz oder Backstein, Jägerzaun oder Hecke - derlei Fragen werden da bindend beantwortet.
Orange und Braun war gestern
Farbtupfer oder Grausamkeit?
So wolle man ein einheitliches Siedlungsbild schaffen, ohne Geschmackspolizei zu spielen. Von detaillierten Festlegungen, etwa der Vorgabe von Farbtönen hält Franke daher wenig. Erstens könne man sie im Streitfall vor Gericht nicht leicht durchsetzen, zweitens seien sie Moden unterworfen. „In den 70ern waren Orange und Braun beliebt, davon ist man weg.“
Pures Orange hat freilich auch heute seine Fans. Wie Christine Kostrzewa, die in einem leuchtend orangenem Haus im Moltkeviertel wohnt. Ein Hingucker, vor dem viele Spaziergänger stehen bleiben. Einmal bremste auch ein Autofahrer, warf der Hausbesitzerin einen bösen Satz zu: „Wenn es einen Preis für das hässlichste Haus in Essen gäbe, Sie hätten ihn verdient.“
Da wundere sie sich, dass die allgegenwärtige Tristesse in Beige und Grau so klaglos hingenommen werde. Im übrigen habe der Künstler Robert Kaller, der die Fassade gestaltete, im Vorfeld eine Platte mit der Farbe am Haus angebracht - damit sich die Anwohner einen Eindruck verschaffen konnten. Ein Veto habe es nicht gegeben, und bis auf den erbosten Autofahrer habe sie nur positives Feedback erlebt
Nachbarn als Kontrolleure
Ein Glücksfall. „Nachbarn sind die schärfsten Baukontrolleure“, weiß Thomas Franke. Wobei sich hinter der Sorge um das Stadtbild leider oft nur ein Nachbarschaftsstreit verberge. Eine echte gesellschaftliche Übereinkunft über architektonische Standards entwickele sich im Ruhrgebiet nämlich erst langsam. Anders als in Städten mit großer Bautradition wie Hamburg oder Geschichtsbewusstsein wie Münster, das seine Innenstadt gleich nach dem Krieg originalgetreu wieder aufbaute. „Während man in Essen neue Wunden ins Stadtbild schlug.“
Und um den Erhalt der alten Arbeitersiedlungen sei noch in den 80er Jahren heftig gerungen worden. Ein Kampf, der heute mit anderen Mitteln fortgeführt werde. „Die Leute verbauen, was der Baumarkt hergibt“, sagt Petra Beckers, die Leiterin des Denkmalinstituts. Da wird die Wohnfläche um Gartenhaus und Schuppen erweitert, wird der Vorgarten zum Stellplatz. Wie etwa in der Altenhof-Siedlung: „Die Häuschen sind mal für Krupp-Pensionäre gebaut worden, heute ziehen Familien ein.“ Mit guten Gründen: Die Häuser sind hübsch gelegen und bezahlbar - bloß richtig familientauglich seien sie oft nicht.
Neuer Stolz aufs Ruhrgebiet
Neben dem mangelnden Raumangebot führe der Wunsch nach Individualität zu mancher Verunstaltung, glaubt Thomas Franke. Der Gleichförmigkeit der Siedlungen begegne man nicht nur mit Signalfarben, sondern auch mit Alu-Türen, Klinker oder Carports. Mitunter werde jahrelang vor Gericht um die Entfernung solcher „Gestaltungselemente“ gekämpft. Aktueller Streitpunkt sei oft die Wärmedämmung, seufzt Franke.
Viele Eigentümer verderben das Stadtbild, so vereinfachend wollen Beckers und Franke das nicht behaupten. Die noch im Besitz der Krupp-Stiftung befindliche Margarethenhöhe zeige jedoch, welche Geschlossenheit ein einzelner Eigentümer bewahren könne. Und mehr noch: In der einstigen Gartenstadt blühe auch schon ein neuer Stolz auf die Schönheit des Ruhrgebiets.