Essen.
Die Einschulungs-Tests in Essen zeigen: Jungen und Mädchen aus Risiko-Familien starten ihre Schullaufbahn mit Riesendefiziten, wie im Rahmen der zweiten Kinderschutzkonferenz bekannt wurde.
Die meisten Essener Kinder sind vor ihrer Einschulung fit und gesund, doch Jungen und Mädchen, die aus einer sogenannten Risiko-Familie stammen, starten ihre Schullaufbahn bereits mit erheblichen Defiziten. Das belegt die Einschulungsuntersuchung 2010, die an diesem Mittwoch im Rahmen der 2. Kinderschutzkonferenz vorgestellt wurde.
„Bei den Ergebnissen setzt sich insgesamt der positive Trend aus den letzten Jahren fort“, betont Dr. Petra Freynik, die den Kinder- und Jugendgesundheitsdienst der Stadt leitet. Unter den knapp 5000 angehenden Erstklässlern hätten im Schnitt jedoch diejenigen deutlich schlechter abgeschnitten, die aus armen und bildungsfernen Elternhäusern und/oder aus Patchworkfamilien stammen und/oder einen Migrationshintergrund haben.
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Besonders auffällig sei dabei der Zusammenhang zwischen dem Bildungsstatus der Eltern und der Entwicklung der Kinder. „12 Prozent der Eltern mit sehr geringer Schulbildung haben ihren Kindern bis zur Einschulung noch nie eine Geschichte vorgelesen“, sagt Freynik. Just in diesen Familien gebe es einen gleichsam unkontrollierten Fernsehkonsum: „Hier haben fast die Hälfte der Kinder schon im Vorschulalter einen Fernseher im Zimmer.“ Oft laufe das Gerät sogar beim Essen; häufig werde in der Wohnung geraucht.
Sprachlosigkeit in den Familien
Die Folgen lassen sich an den Untersuchungsergebnissen mühelos ablesen. So hinken die Kinder in ihrer Entwicklung überall hinterherher: sprachlich, motorisch, bei Verhalten und Koordination. Mehr noch: Sie leiden häufiger an Übergewicht, und selbst ihr Hör- und Sehvermögen ist schlechter entwickelt. Während etwa in Familien mit hohem Bildungsstatus 19 Prozent der Kinder einen Sehfehler haben, sind es bei bildungsfernen Familien 32 Prozent.
Ausgerechnet diese Risiko-Familien versäumen häufiger die U-Untersuchungen beim Kinderarzt und schicken ihre Kinder später in den Kindergarten: In ungebildeten Familien besuchen 12 Prozent der Kinder nie oder weniger als ein Jahr lang eine Kita. „Hier müssen wir unsere präventiven Maßnahmen weiter verstärken“, forderte Freynik.
Besorgt beobachtet sie auch die gleichbleibend hohe Zahl von Kindern mit Sprachdefiziten. Knapp ein Viertel aller angehenden Erstklässler habe hier Probleme. „Sprache bleibt unser Sorgenkind. Die Sprachlosigkeit in den Familien bei laufendem Fernseher ist für Kinder eine hohe Belastung.“
Mehr Hilfen für Risiko-Familien
Auch Engelbert Kölker, Obmann der niedergelassenen Kinderärzte in Essen, wünscht sich, „dass wir bei aller Sorge um die motorische Entwicklung den Defiziten in der Sprachentwicklung die größte Aufmerksamkeit widmen“. Während sich die Diagnostik hier verbessert habe, seien die Fördermaßnahmen oft „willkürlich gewählt“. Bei einer allgemein guten medizinischen Versorgung von Kindern mahnt auch Kölker an, das Augenmerk noch stärker auf die Risiko-Familien zu richten.
Ein Adressat für diese Forderung ist natürlich der Gastgeber der Konferenz, Sozialdezernent Peter Renzel. Der versichert, er habe die Botschaft gehört: „Uns geht es hier nicht um Projektitis, sondern um wirksame Maßnahmen.“