Essen. .

Vor 29 Jahren ist Peter Keup aus der DDR geflohen. Rasch hat der Tanzlehrer in Essen Fuß gefasst. Mit Distanz blickt er auf die Zeit in einem Stasigefängnis zurück. Auf die Angst, und auf die Einsamkeit der Isolations-Haft.

Ein halber Meter vielleicht trennt zwei Holzpritschen voneinander. Decken sind aufgefaltet, eine Matte, die als Matratze dient, liegt darunter. Dreieinhalb Monate hat Peter Keup es in dieser Zelle ausgehalten. Ohne Kontakt zu Mitgefangenen. „Bücher durften wir nicht haben in der Stasi-U-Haft.“ An Fernseher oder Radio war nicht zu denken.

Eine Repro von der Strafakte.
Eine Repro von der Strafakte. © WAZ FotoPool

Seit 29 Jahren lebt der Tanzlehrer in Essen, wo er nach der Flucht aus der DDR rasch Fuß fasste. Mit Distanz blickt er auf die Zeit in einem Stasigefängnis zurück. Auf die Angst, die Einsamkeit der Isolations-Haft. „Der Kontakt zu meinem Stasi-Vernehmer war ein Highlight für mich. Ein Mensch, mit dem ich reden konnte.“ Die Fronten im Gespräch waren klar: „Bestimmte Dinge durfte ich nicht preisgeben.“

Aus Radebeul gen Westen

In den 50er Jahren floh sein Vater, Mitglied der Kommunistischen Partei, aus Essen vor der drohenden Verhaftung in die DDR. Rund 30 Jahre später machte sein Sohn sich in Radebeul bei Dresden auf den Weg gen Westen. „Der Plan war, über Ungarn und die österreichische Grenze zu fliehen.“ In der Vorbereitung lernte er einen Gleichgesinnten kennen. „Wir hatten damals klare Absprachen.“ In gebührendem Abstand wollten sie die Donau durchschwimmen. „Damit wir nicht zusammen geschnappt werden können.“ Geübt habe man in einem kleineren Fluss.

Doch bis zur Donau sollte Keup nie kommen. 50, vielleicht 60 Mal zuvor war der Essener in die Tschechoslowakei gereist, „das war das einzige Land, in das wir ohne Genehmigung reisen durften.“ Im Juli ‘81 jedoch beging Keup, dessen Familie nach zahlreichen Ausreiseanträgen bei der Stasi bereits aktenkundig war, einen folgenschweren Fehler. „Ich habe nur eine Karte für die Hinfahrt gekauft.“

Bei der Kontrolle im Zug konnte er kein Rückfahrbillet vorlegen. „Man hat meine Sachen durchsucht, ich musste mich ausziehen“, erinnert sich Keup. Schließlich fand die Stasi eingenähte West-Mark. „In einer Baracke hat man mich dann verhört.“ Gefühlt 20 Stunden redeten verschiedene Vernehmer auf ihn ein. „Es gab keine Pause, ich durfte nicht schlafen.“ Alles hätte er gestanden, „so fertig war ich“, erinnert er sich.

„Wenn der erste Schuss fällt, bleibe ich stehen“

Zudem: Er empfand die Verhaftung nicht als großes Unrecht. „Ich wusste ja, dass die Flucht als kriminell gilt.“ Dennoch entschied er, zu gehen. „Allerdings nicht um jeden Preis. Für mich war klar, wenn der erste Schuss fällt, bleibe ich stehen.“ So verabredete er es auch mit seinem Mithäftling. „Der wurde beim Grenzübertritt nach Ungarn geschnappt.“ Eine Verbindung konnte die Stasi zwischen den beiden Flüchtenden nicht herstellen. „Sonst wäre das Urteil viel härter ausgefallen.“ Ebenfalls strafmildernd wirkte, dass Keup noch in der DDR geschnappt wurde. So lautete der Richterspruch auf ein Jahr Haft wegen der Vorbereitung der Flucht.

Der heutige Wahl-Essener wurde verlegt, von der Stasi-U-Haft in das Gefängnis Cottbus, das schon in der Kaiserzeit als Haftanstalt diente, anschließend als Nazi-Gefängnis und auch heute noch Haftanstalt ist. „Meine Großeltern, die noch in Essen lebten, haben dann Kontakt zu einem Anwalt in der DDR aufgenommen.“ Man informierte die Ministerien und schließlich wurde Keup für 40 000 Euro freigekauft. Freilich erfolgte die Entlassung erst, nachdem man ihn aufgepäppelt hatte: „Damals wog ich gerade 56 Kilo.“

Mit dem Bus ging es in den Westen – doch noch immer nicht in die Freiheit. „Weil man über den Weg des Freikaufs auch Stasi-Spione in den Westen gebracht hat, wurden wir in Gießen erst noch vom Geheimdienst befragt.“ Keup passierte diese Hürde, erhielt das Begrüßungsgeld und eine Fahrkarte nach Essen, wo er seither lebt. „Damals haben sich meine Großeltern um mich gekümmert. Ich hatte relativ schnell das Gefühl, dass das die Stadt ist, in der ich leben will.“ Zudem seien die Großeltern in jedem Jahr aus Essen in den Osten gereist, so dass er sie kannte.

Nüchtern, sachlich berichtet er über die Vergangenheit

Den Mauerfall erlebte der Inhaber einer Tanzschule, der bereits in der DDR im Turnier-Tanzsport erfolgreich war, mit gemischten Gefühlen. „Ich war wahnsinnig entsetzt. Alle, die mich drangsaliert hatten, konnte ich plötzlich auf der Straße treffen. Solange die Mauer da war, hatte keiner Zugriff auf mich.“ Sechs Wochen sollte es dauern, bis Keup zu seiner Familie nach Radebeul reisen konnte, „und auch heute ist noch wichtig für mich, auf der Autobahn zu wissen, ob ich mich im Osten oder im Westen bewege.“ Fluchtgedanken befallen Keup nach vier, fünf Tagen in seiner alten Heimatstadt. Dort wieder zu leben, sei unvorstellbar. Mit den Entwicklungen, den Turbulenzen in seinem Leben scheint Keup abgeschlossen zu haben. Nüchtern, sachlich berichtet er über die Vergangenheit. Er tut dies nicht zum ersten Mal. Für eine Dokumentation trat er gar vor die Kamera, reiste in die Stasi-U-Haft Bad Schandau, berichtete von den Vernehmungen. Vorführen will der Besitzer einer Tanzschule den Film am Tag des Mauerfalls (9. November) in der Agentur F19, Friederikenstraße 19.