Herne. .

Detlev Bloß ist Opfer eines Staates, den es nicht mehr gibt. Er ist ein Opfer der DDR. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kämpft er für eine Opferrente – 250 Euro pro Monat. Detlev Bloß kämpft viel, auch gegen die Sozialbehörden. Seit Ende September kämpft er in der Emscherstadt.

Im Frühjahr 1973, so der 54-Jährige, habe das Elend angefangen. Weil seine Mutter an Krebs erkrankt, müssen er und seine Geschwister in ein Kinderheim. Die DDR hatte es für schwer Erziehbare eingerichtet. Er sei geschlagen und sexuell missbraucht worden. Später macht der gebürtige Weimarer eine Lehre als Krankenpfleger und engagiert sich in der Kirche. Irgendwann – Bloß hatte bereits mehrere Ausreiseanträge gestellt – demonstriert er mit anderen jungen Menschen für Religionsfreiheit. Die Staatssicherheit greift ein.

Bloß bekommt einen harten Schlag auf den Kopf. Eine 18 Zentimeter große Narbe ist davon zurückgeblieben und die epileptischen Anfälle. 160 Tage muss Bloß im Stasi-Gefängnis sitzen, er sei immer wieder körperlich misshandelt worden. Am 12. Dezember 1978 fliegt die Zellentür auf. Die Bundesrepublik hatte Bloß freigekauft, mit wenigen Dingen kommt er über Bebra ins Aufnahmelager Gießen. Einen Nachweis über seine Krankenpflegerausbildung hat er nicht.

Bloß schlägt sich im Westen durch, nimmt schließlich eine Hilfsarbeit in einer bayerischen Pension an. Weil er dort nicht bezahlt worden sei, habe er sich selbst bedient. Es folgen eine Anzeige und ein Gerichtsprozess. Weil ein Gutachter ihn für schizophren hält, landet Bloß in einer geschlossenen Anstalt. Fünf Jahre muss er dort bleiben. Dann habe der Einsatz von Landtagspolitikern ein Gegengutachten provoziert. Schizophrenie sei dabei nicht festgestellt worden. Er kommt frei, die Klage auf Schadenersatz scheitert.

Detlev Bloß lebt seit Jahren am Rande des Existenzminimums, mal von Krankengeld, mal von Grundsicherung. Er ist krank – Epilepsie, Depressionen, Suchtprobleme, Diabetes. „Der ganze Mist hat mich krank gemacht.“ Er hat ein posttraumatisches Belastungssyndrom. Irgendwie haltlos reist er durch Deutschland, immer wieder muss er in psychiatrische Kliniken.

Aus dem Taunuskreis hat es ihn nun nach Wanne-Eickel verschlagen. Kontakt zu Familienangehörigen hat er nicht. In Duisburg gebe es Bekannte. Er wolle im Revier sein Glück versuchen, sagt er. Viel Glück aber hat er bisher nicht gehabt. Er liegt mit der Arge über Kreuz, hat wieder einen Anwalt eingeschaltet, weil der Staat Hotel- und Fahrtkosten für seinen Umzug nicht bezahlen will. „Ich musste seit Anfang Oktober alles vorstrecken und bin schlicht pleite“, sagt der 53-Jährige – „dabei gibt es doch einen begründeten, unabwendbaren Bedarf.“ Seine Wohnung in Wanne, gemietet seit dem 1. Oktober, war nicht rechtzeitig fertig geworden. Erst am gestrigen Freitag konnte er einziehen.

Detlev Bloß kann „auf Dauer“ nicht mehr als drei Stunden pro Tag arbeiten, das steht in einem von der Bundesanstalt für Arbeit in Auftrag gegebenen Gutachten. Die Sozialbehörden im Hochtaunuskreis haben ihm einmal Fahrt- und Hotelkosten bezahlt. Grundlage: § 29 Sozialgesetzbuch 12. Die Arge in Herne lehnt den Antrag ab, sie ist seit dem 1. Oktober zuständig. „Dass die Behörden in Bad Homburg gezahlt haben, ist nicht unser Thema. Es gibt in keinerlei Weise eine Versorgungslücke“, sagt Jürgen Heinrich aus der Geschäftsführung. Hätte Detlev Bloß das ihm angebotene Zimmer in einer Obdachlosenunterkunft beantragt, die Arge hätte dies bewilligt. Weil Bloß aber fürchtet, dort mal wieder „abzustürzen“, hat er abgelehnt. „Die können mich doch nicht in eine gesundheitsgefährdende Situation bringen, das ist doch gaga“, schimpft er. Die Arge sieht das anders. So sei das kommunale Recht. Der 54-Jährige könne ja den Rechtsweg beschreiten. Bloß’ Widerspruch lehnt die Arge ab, ohne dem Anwalt rechtliches Gehör zu geben.

Was die Mitarbeiter der Arge über Detlev Bloß denken, ist nicht überliefert. Wahrscheinlich sind sie genervt. Vielleicht halten sie ihn auch für einen Schmarotzer. „Der Mann reist durch die Republik und stellt ‘ne Menge Anträge“, sagt Heinrich.

Die Arge hat den Fall nun aus der Hand gegeben. Das Sozialgericht wird wohl entscheiden – vielleicht in anderthalb Jahren. Detlev Bloß meint: „So geht’s doch nicht.“