Essen. .

Etwas Normaleres als Frohnhausen wird man in Essen schwerlich finden: Notizen aus einem Viertel, dessen Normalität manchmal wehtut und dessen verborgene Schönheiten man entdecken wollen muss.

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Von DerWesten

Etwas Normaleres als Frohnhausen wird man in Essen schwerlich finden. Fast alles hält sich hier in Grenzen: Frohnhausen hat nichts vom Glamour Rüttenscheids, aber auch nicht die harten Probleme in Teilen Altenessens, es fehlen der historische Atem von Werden, der Eigensinn Kettwigs und erst Recht der Reichtum in Bredeney. Und wenn nicht die A 40 wäre, die die angrenzenden Viertel kräftig verlärmt, dann wären nicht mal die Verkehrsprobleme erwähnenswert. Frohnhausen muss man sich erarbeiten. Das Schöne, das Sehenswerte, mitunter Anrührende liegt im Kleinen, im Verborgenen. Ich weiß das, denn ich habe hier lange gelebt.

„Ey, dich hab’ ich aber lange nicht gesehen“, begrüßt mich an diesem Dienstag der Obsthändler meines früheren Vertrauens, dem ich schamhaft verschweige, dass ich schon lange in Rüttenscheid lebe. Die Marktstände sind dünn gesät, kein Vergleich zum Rummel, der hier vor 10, 20 Jahren war. „So wie früher ist es nicht mehr“, gibt er zu, während er die Äpfel einpackt, aber Gott, er sei zufrieden.

„Das waren noch Zeiten, als sich hier die Leute drängelten“, sagt Brigitte Fischbach, die es wissen muss. Direkt gegenüber vom Markt hat sie seit Jahrzehnten eine Reinigung. Sie hat miterlebt, wie ein Fachgeschäft nach dem anderen schloss und wie sich unmerklich die Marktstände vom Rand in die Mitte des Platzes bewegten, weil es dort dicke für alle reicht. „Früher hatte hier vorne die Tante des Schauspielers Heinz Drache ein Haushaltswarengeschäft“, weiß Frau Fischbach. Und Drache selbst sei früher hier im Viertel herumgelaufen, einfach so. „Früher“ ist ein Wort, das man in Frohnhausen relativ oft hört.

Ein paar Meter weiter steht die Apostelkirche, die noch aus der Zeit stammt, als die protestantische Kirchenführung treu zum Kaiser hielt. Ihren wuchtigen Turm konnten nicht mal die alliierten Bomber knacken, die dem Krupp-Stadtteil Frohnhausen ansonsten hart zusetzten. „Eine feste Burg sei unser Gott“ - an dieses Kirchenlied muss man denken, wenn man die Apostelkirche sieht.

Inzwischen geht es hier filigraner zu. In einer Art großem Wintergarten, dem Forum, bietet die Kirche jetzt Kaffee, Kuchen und Kommunikation, was dem notorisch gastronomie-schwachen Stadtteil nur guttun kann. Hinter der Kirche plätschert seit einigen Monaten wieder der historische Gänsereiterbrunnen, den Sponsoren aus seiner jahrzehntelangen Agonie erweckten. Gottlob, es geht also doch weiter in Frohnhausen.

Die grünen Innenhöfe

Die St. Antonius Kirche in Frohnhausen. Foto: Dennis Straßmeier
Die St. Antonius Kirche in Frohnhausen. Foto: Dennis Straßmeier © WAZ FotoPool

Ein paar Meter vom Markt entfernt steht mit dem Luisenhof eine Burg anderer Art: Nach außen wirkt das Karree trutzig, fast wehrhaft, zum grünen Innenhof hin aber freundlich und auf gute Nachbarschaft angelegt. Hausmeister Frank Eisenhuth müsste gar nicht betonen, wie gerne die Menschen hier leben, man spürt es auch so. Der Luisenhof, 1911 von Krupp gebaut, gehört zu den unbekannten Essener Sehenswürdigkeiten.

Ähnliches gilt für eine der grandiosesten Nachkriegs-Kirchenbauten der Stadt. Wer an einem sonnigen Tag arglos und ohne große Erwartungen zum ersten Mal die Kirche St. Antonius an der Berliner Straße betritt, wird förmlich erschlagen von Raum und Lichtspiel. Natürlich: Beton und rechte Winkel sind nicht jedermanns Sache, aber das Bistum tat gut daran, gerade diese Kirche nicht im Zuge der großen Sparreformen preiszugeben.

Während das Stadtteilzentrum zweiter Ordnung um Markt und Mülheimer Straße an Auszehrung, Leerstand und Dönerisierung leidet, wirkt Zentrum Nummer 1, der Bereich Gervinusplatz, Berliner und Frohnhauser Straße weiter vergleichsweise vital. Am Kreuzungspunkt der Straßenbahn 109 und der wichtigen Buslinie 160 gibt es durchaus so etwas wie urbanes Leben, wenn auch auf gedämpften Frohnhauser Niveau. Was auffällt, sind die vielen ergrauten Köpfe. Frohnhausen ist nicht gerade das Lieblingsziel junger Familien, das oft ersehnte Häuschen mit Garten ist hier im dreigeschossigen Häusermeer nun einmal Mangelware. Dafür ist der nächste Arzt nie weit weg.

Der Vergleich mag kühn erscheinen, aber die Gegend um den Gervinusplatz wirkt in seiner steinernen Geschlossenheit ein bisschen berlinerisch, wobei hier natürlich nicht die teuren Szene-Viertel der Hauptstadt der Maßstab sind, sondern die echten Kieze, die es auch noch gibt. Direkt hinterm Gervinusplatz - auch das passt - besitzt Frohnhausen sogar einen weiträumigen aufgelassenen Friedhof, der mit seinem alten Baumbestand als Stadtpark dient. Das hat echte Qualität, wenn auch schmerzlich klar wird, dass die Pflege solcher Stadtteil-Parks für Grün und Gruga nicht gerade erste Priorität hat.

Am Riehlpark, einer anderen gern genutzten Grünfläche am Schnittpunkt Frohnhauser/Mülheimer Straße, hatte die genossenschaftliche „Wohnbau eG“ vor Jahren richtig Geld in die Hand genommen und ein architektonisch ansehnliches Quartier gebaut. Die gefährdete kleinbürgerliche Sozialstruktur Frohnhausens hat auch dank dieser lobenswerten Investition wieder etwas Halt bekommen. Generell heißt es immer wieder, dass die alten Wohnungsbaugesellschaften wie Krupp ihren Siedlungen weit weit Fürsorge angedeihen ließen als ihre mehr renditeorientierten Nachfolger.

Am Gervinusplatz kann man neuerdings bei schönem Wetter draußen direkt an der Kreuzung seinen Kaffee trinken und das Leben an sich vorbeiziehen lassen. Es ist ein stinknormales Leben. Nebenan am Tisch erörtern zwei Frauen die Schulprobleme ihrer Kinder, am Kiosk wird ein Schwatz gehalten, eine Ecke weiter erkennt man zwei Zeugen Jehovas, die den Wachtturm hochhalten - in Frohnhausen ein altbekannter Anblick. Man kann das alles langweilig finden - oder auch authentisch, ungekünstelt und herrlich normal. Ich entscheide mich für Letzteres.

Und das Fazit: Es ist nicht mehr alles wie früher, aber mein alter Frohnhauser Kiez ist noch lange nicht am Ende. Der schafft das schon.